Zuletzt aktualisiert am 20. Juni 2022

Angststörung

Angst ist ein zutiefst menschliches Gefühl. Als natürlicher Schutzmechanismus unseres Körpers warnt es uns vor Gefahren. Angst mobilisiert zudem die Energie und Kraft, die wir brauchen, um
Bedrohungen von uns abzuwenden.

Auch im alltäglichen Leben können wir mit Ängsten konfrontiert werden – sei es ein Vorstellungsgespräch, neue Herausforderungen im Beruf, der Besuch beim Zahnarzt, eine Flugreise oder die Sorge um geliebte Menschen. Von diesen Situationen geht oft keine objektive Gefahr aus, dennoch können wir sie als Bedrohung erleben und mit Angst reagieren. Ängste gehören also zum Leben. Wenn sie allerdings in ihrer Häufigkeit oder Intensität außer Kontrolle geraten und unseren Alltag bestimmen, können sie krank machen.

Wenn Angst krank macht

Jeder kennt das Gefühl der Angst, ob vor Spinnen, einem engen Fahrstuhl oder einer Rede. Wenn jedoch eine der folgenden Aussagen zutrifft, sollten Betroffene sich an einen Arzt oder
Therapeuten wenden:

  • Meine Ängste schränken mich im Alltag ein und rauben mir Lebensqualität
  • Ich denke mehr als die Hälfte des Tages über meine Ängste nach
  • Durch meine Ängste bin ich oft niedergeschlagen und müde/erschöpft
  • Aufgrund meiner Ängste hatte ich schon Selbstmordgedanken
  • Meine Partnerschaft und/oder Arbeit sind wegen meiner Ängste in Gefahr
  • Häufig bekämpfe ich die Ängste mit Alkohol, anderen Drogen oder Beruhigungstabletten1

Formen der Angststörung

Je nach ihrem Auslöser werden Angststörungen in 2 Gruppen eingeteilt:

  1. Angststörungen mit konkreten Auslösern (Phobien)
  2. Angststörungen ohne konkrete Auslöser

Angststörungen mit konkreten Auslösern

Wenn Ängste aus spezifischen Gründen und nur in bestimmten Situationen auftreten, werden sie auch Phobien genannt. Eine häufige Phobie-Form ist z. B. die Agoraphobie, auch Platzangst
genannt, bei der sich Personen vor Menschenansammlungen fürchten. Auch die soziale Phobie gehört zu den Angststörungen mit konkretem Auslöser. Betroffene haben Angst vor einer möglichen negativen Bewertung durch andere Personen, z. B. bei Vorträgen oder Meetings. Sie haben Angst davor im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen, etwas falsch zu machen oder sich zu blamieren.

Angststörungen ohne konkreten Auslöser

Zu den Angststörungen ohne spezifische Ursache zählen Panikstörungen und generalisierte Angststörungen. Panikstörungen treten plötzlich und unerwartet auf. Sie werden von typischen
Körperreaktionen wie Herzrasen, Atemnot, Schwindel und Schweißausbrüchen begleitet. Generalisierte Angststörungen zeichnen sich dadurch aus, dass die Symptome im Gegensatz
zur Panikstörung nicht gleichzeitig in Form eines Anfalls, sondern in wechselnder Kombination als unterschwelliger Dauerzustand auftreten. Menschen mit dieser Form der Angststörung werden von ständigen Angstgefühlen begleitet, wodurch sie im Alltag stark eingeschränkt sind.

Angststörungen können verschiedene Auslöser haben
Angststörungen können verschiedene Auslöser haben

ANGSTSTÖRUNGEN
MIT KONKRETEN AUSLÖSERN (PHOBIEN)

ANGSTSTÖRUNGEN
OHNE KONKRETEN AUSLÖSER

Bei einigen Angststörungen sind die Angstreaktionen mit konkreten Auslösern verbunden. Solche Angststörungen werden auch Phobien genannt. Bei anderen Angststörungen sind keine  konkreten Auslöser für die Angst erkennbar. Es gibt auch keinen Anhaltspunkt für eine reale Gefahr.
Beispiele für Phobien sind:
 
  • Agoraphobie: Angst vor öffentlichen Plätzen und Menschenansammlungen, z. B. beim Auto- oder Straßenbahn fahren, Schlange stehen im Supermarkt.
  • Spinnenangst
  • Spritzenangst
  • Flugangst
  • Soziale Phobie: Angst davor im Mittelpunkt zu stehen, z. B. bei öffentlichen Reden.
Zu Angststörungen ohne konkreten Auslöser  gehören:
 
  • Panikstörungen: Panikstörungen treten anfallsartig auf und sind von heftigen Körperreaktionen, z. B. Herzrasen, Schwindel, Schweißausbrüchen, begleitet.
  • Generalisierte Angststörungen: Bei einer generalisierten Angststörung können ständig unbegründete Ängste auftreten, z. B. die Angst, dass einem selbst oder Nahestehenden ein Unglück passiert.

Verbreitung

In der deutschen Bevölkerung leiden etwa 15 von 100 Menschen an Angststörungen. Damit gehören sie zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Das Durchschnittsalter bei  erstmaligem Auftreten einer Angststörung liegt bei 21 Jahren. Frauen sind häufiger betroffen als Männer.3

Ausprägung und Symptome

Je nach Form der Angststörung wird sie von Symptomen begleitet, deren Art, Ausprägung und Dauer unterschiedlich sind.

Zu den körperlichen Ausdrucksformen von Angst gehören z. B.:4

  • Zittern
  • Herzrasen
  • Schwitzen
  • Atemnot/Erstickungsgefühl
  • Schmerzen, Druck oder Enge in der Brust
  • Bauchschmerzen und Übelkeit
  • Hitzewallungen oder Kälteschauer
  • Schwindel und Benommenheit

Phobien

Bei der spezifischen Phobie richtet sich die Furcht auf etwas Konkretes wie Wespen, Spritzen, Höhen, enge Räume oder Gewitter. Die erlebten Emotionen können dabei von starken Angstgefühlen bis hin zur Panik reichen und anfallsartig auftreten – teilweise genügt bereits der Gedanke an den Auslöser. Begleitend treten Symptome wie Zittern, Herzrasen, Schwitzen
oder Atemnot auf, die vorüber gehen, sobald die auslösende Situation vorüber ist. Meist  entstehen die spezifischen Phobien vor dem 12. Lebensjahr.5

Beispiel

Michael wird seit früher Kindheit übel, wenn er auf einen Turm oder einen hohen Berg steigen muss. Ihm wird schwindelig, wenn er in die Tiefe herabschauen muss. Er muss sich dann oft festhalten und tritt instinktiv von jedem Geländer zwei Schritte zurück.
Meist steigt er nicht mehr auf Aussichtstürme und auch die Lust auf Bergwanderungen ist ihm im Laufe der Jahre vergangen.

Panikstörung

Die Panikstörung zählt zu den Angststörungen ohne konkreten Auslöser. Die angstauslösenden Reize kommen hier nicht aus der Außenwelt, sondern aus dem Inneren. Sie lösen innerhalb
weniger Minuten eine Panikattacke aus, die von den oben genannten typischen  Angstsymptomen begleitet wird. Durchschnittlich dauert eine Panikattacke 15 Minuten. Bei einer Panikstörung treten spontane Angstattacken gehäuft, unerwartet und so drastisch auf, dass sie als tödliche Bedrohung wahrgenommen werden. Da die Panikattacken unkontrollierbar sind
und von heftigen körperlichen Symptomen begleitet werden, denken viele Betroffene zunächst an eine körperliche Erkrankung. Sie durchlaufen nicht selten einen Ärztemarathon, bis
sie die richtige Diagnose erhalten und entsprechend behandelt werden können. Eine Panikstörung beginnt meist zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr und kann einen chronischen Verlauf nehmen, insbesondere wenn sie nicht ausreichend therapiert wird. Schnell entsteht eine Angst vor der nächsten Attacke, also eine Angst vor der Angst. In der Folge ziehen sich viele
Angstpatienten zurück und isolieren sich.6

Beispiel

Maria bekommt seit drei Jahren seltsame Anfälle. Plötzlich hat sie das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen, ihr Herz schlägt schneller, sie zittert, legt sich dann meist hin. Alles passiert meistens aus heiterem Himmel. Ihre Familie reagiert immer sehr besorgt. Zweimal wurde schon der Notarzt gerufen. Aber auch ihre dem Hausarzt vorgetragene Besorgnis, an einer schweren Krankheit zu leiden und die letzten ärztlichen Untersuchungen, haben jeweils nichts ergeben.

Generalisierte Angststörung

Eine generalisierte Angststörung kann psychische und körperliche Beschwerden mit sich bringen. Zu den psychischen Symptomen zählen übermäßige, ständige Sorgen und Befürchtungen, die meist realitätsfern sind und verschiedene Lebensbereiche betreffen können. Sie treten unspezifisch auf und werden daher als „generalisiert“ bezeichnet.7

Beispiel

Linda macht sich ständig Sorgen, wodurch ihr Leben stark eingeschränkt ist. Da ist z. B. die Angst, dass ihr Mann auf dem Weg zur Arbeit verunglücken könnte, dass sie selbst plötzlich einen Herzinfarkt bekommt oder dass ihrem Kind in der Schule etwas Schlimmes
zustößt. Für die Ängste gibt es keine konkreten Anhaltspunkte. Diese Gefühle werden schließlich so extrem, dass Linda sich aus Angst vor der Angst in ihrem Haus zurückzieht.

Das ständige Sorgenmachen kann bei Menschen mit generalisierter Angststörung mehrere Stunden des Tages in Anspruch nehmen. Alle Gedanken kreisen um aktuelle Probleme oder
um künftige, schlimme Ereignisse und wie diese verhindert werden können. Anders als beim üblichen Nachdenken, sind die Gedanken bei einer generalisierten Angststörung nicht zielgerichtet, sondern gehen übergangslos ineinander über. Die Patienten sind in ihrem eigenen Sorgen-Kreislauf gefangen und haben keine Kontrolle mehr darüber, wie sie diesen  unterbrechen können.

Neben den psychischen Symptomen können auch körperliche Symptome auftreten. Durch das Gefühl der Angst schüttet die Nebenniere das Hormon Adrenalin aus, welches dafür sorgt, dass unsere Körperfunktionen beschleunigt werden. Das Herz fängt an zu rasen, die Atmung wird schneller, wir schwitzen und zittern. Bei einer generalisierten Angststörung kann diese  physische Alarmbereitschaft anhaltend sein, auch wenn kein akuter Anlass erkennbar ist.8

Anders als bei den Phobien und Panikstörungen, die meist im Kindesalter bis hin zum jungen Erwachsenenalter entstehen, kann die generalisierte Angststörung in jeder Lebensphase erstmals auftreten. Der Beginn ist meist schleichend und der Krankheitsverlauf chronisch, wobei die Beschwerden nicht immer gleich stark ausgeprägt sind.9

Diagnosestellung

Da Angststörungen mit körperlichen Symptomen einhergehen, wird häufig zunächst nach organischen Ursachen für die Beschwerden gesucht. Dadurch kann viel Zeit vergehen, bis es zu einer korrekten Diagnosestellung kommt. Nicht selten ist das Leben von Betroffenen so sehr eingeschränkt, dass Arztbesuche lange vermieden werden. Angststörungen werden in Deutschland nach der ICD-10 (weltweites Klassifikationssystem für Krankheiten und  Gesundheitsprobleme) diagnostiziert. Ein ausführliches Gespräch mit dem Patienten ist für den Arzt oder Psychotherapeuten ein wichtiges Instrument zur Diagnosestellung. Darin werden Fragen zu typischen Anzeichen der verschiedenen Angststörungen gestellt, z. B:10

  • Wie stark ist Ihre Angst?
  • In welchen Situationen tritt sie auf?
  • Welche körperlichen Symptome sind Ihnen aufgefallen?
  • Seit wann leiden Sie an den Beschwerden?

Die Antworten geben dem Arzt oder Therapeuten Hinweise auf die Art und Ausprägung der Angststörung. Zusätzlich ist eine körperliche Untersuchung notwendig, um andere  möglicherweise ursächliche Erkrankungen auszuschließen. Herz-Kreislauf-, Schilddrüsen-, neurologische und andere Erkrankungen können mit Symptomen einhergehen, die einer Angststörung ähneln.

Ursachen und Risikofaktoren

Die Ursachen einer Angststörung sind noch nicht vollständig geklärt. Es wird vermutet, dass verschiedene Faktoren bei der Entstehung eine Rolle spielen, z. B.:

  • Traumata in der Kindheit oder im späteren Leben
  • Anhaltender familiärer oder beruflicher Stress
  • Folge einer anderen Erkrankung, z. B. Depression oder Suchterkrankung
  • Genetische Faktoren wie das vermehrte Auftreten innerhalb einer Familie
  • Falsch erlernte Verhaltensweisen oder übertragene Ängste der Eltern
  • Urinstinkte bei spezifischen Phobien11

Meist gibt es nicht die eine Ursache für das Auftreten eine Angststörung. Verschiedene Lebensereignisse, genetische Disposition, biologische und erlernte Verhaltensweisen kommen
zusammen. Diese Faktoren werden von Fehlern in der Wahrnehmung und Bewertung begleitet, die sich auf vermeintlich bedrohliche Situationen oder die eigene Person beziehen. Folgende
„Denkfehler“ tauchen häufig bei Angstpatienten auf:

  • Überschätzen von Gefahren
  • Misserfolge werden auf die eigene Person bezogen
  • Unterschätzen eigener Fähigkeiten
  • Immer vom Schlimmsten ausgehen (Katastrophendenken)
  • Schwarz oder weiß denken wie „Entweder bin ich perfekt oder ein Versager.“

Aus der falschen Wahrnehmung und Bewertung entsteht ein Gefühl der Angst und eine verzerrte Aufmerksamkeit: Der Betroffene sucht permanent nach möglichen bedrohlichen Situationen. Dadurch gerät er schnell in einen Teufelskreislauf der Angst.12

Begleiterkrankungen

Eine Angststörung wird häufig von anderen Erkrankungen begleitet oder wird durch eine andere Grunderkrankung ausgelöst. Besonders hoch ist das Risiko an anderen Angststörungen,
Depressionen, somatoformen Störungen (körperliche Beschwerden ohne organische Ursache) oder Suchterkrankungen zu leiden. Gehäuft treten auch Persönlichkeitsstörungen auf. Angstpatienten haben zudem ein erhöhtes Suizidrisiko.13

Insbesondere bei einer sozialen Phobie oder Agoraphobie entwickeln Patienten häufig zusätzlich eine Depression. Betroffene ziehen sich als Folge der Angststörung aus dem sozialen Leben zurück und gehen keinen Hobbies mehr nach, die ihnen früher ein positives Gefühl gegeben haben. Auch die alltäglichen Dinge wie der Gang zur Arbeit oder zum Supermarkt fallen schwer, die Zukunft wird negativ gesehen. Das kann schließlich
zu einer Depression führen.14

Hinweis: Wichtig ist herauszufinden: Welche Erkrankung ist zuerst aufgetreten, unter welchen Symptomen leidet der Patient am stärksten und welche Beschwerden sollten entsprechend
vordringlich behandelt werden?

Weitere Artikel im neuraxWiki:
 

Therapieoptionen bei Angststörungen

Rehabilitationsmöglichkeiten bei Angststörungen

Behinderung und Schwerbehinderung bei Angststörungen

Quellen:

1 „Angst – normales Gefühl oder doch eine seelische Störung?“. Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ), 2019. Abgerufen unter: www.patienten-information.de/kurzinformationen/angststoerungen

2Angststörung“. Stiftung Gesundheitswissen, 2020. Abgerufen unter: www.stiftung-gesundheitswissen.de/wissen/angststoerung/hintergrund

3„Angststörung“. Stiftung Gesundheitswissen, 2020. Abgerufen unter: www.stiftung-gesundheitswissen.de/wissen/angststoerung/hintergrund

4 „S3-Leitlinie Angststörungen – Patientenversion“. S3-Leitliniengremium (Hrsg.), 2014. S. 10. Abgerufen unter: www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/051-028.html

5 „Wenn Angst zum Problem wird“. Die Angst-Zeitschrift. Deutsche Angstselbsthilfe, Januar 2017. S. 12.

6 Ebd. S. 24 ff.

7–8 „Generalisierte Angststörung“. Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG), 2017. Abgerufen unter: www.gesundheitsinformation.de/generalisierte-angststoerung.2707.de.html

9 „Wenn Angst zum Problem wird“. Die Angst-Zeitschrift. Deutsche Angstselbsthilfe, Januar 2017. S. 28 ff.

10„S3-Leitlinie Angststörungen – Patientenversion“. S3-Leitliniengremium (Hrsg.), 2014. Abgerufen unter: www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/051-028.html

11 „Angststörung“. Stiftung Gesundheitswissen, 2020. Abgerufen unter: www.stiftung-gesundheitswissen.de/wissen/angststoerung/hintergrund

12„Wenn Angst zum Problem wird“. Die Angst-Zeitschrift. Deutsche Angstselbsthilfe, Januar 2017. S. 8 ff.

13 „S3-Leitlinie Angststörungen – Patientenversion“. S3-Leitliniengremium (Hrsg.), 2014. S. 44. Abgerufen unter: www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/051-028.html

14 „Wenn Angst zum Problem wird“. Die Angst-Zeitschrift. Deutsche Angstselbsthilfe, Januar 2017. S. 32 f.

 

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