Zuletzt aktualisiert am 20. Dezember 2021

Autismus im Kindergarten und in der Schule

Oftmals werden die Symptome einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) erstmalig von Pädagogen in Kindertagesstätten oder Schulen bemerkt. Daher sind bereits in jungen Jahren ein aufmerksamer Umgang sowie eine besondere Rücksichtnahme wichtig.

Autismus in Kindertagesstätten

Gemäß dem Kinderförderungsgesetz besteht in Deutschland ein Rechtsanspruch auf einen bedarfsgerechten Kindergartenplatz. Da jedes Kind mit ASS andere Bedürfnisse hat, können Eltern eine geeignete Kita nur individuell wählen. Heute bieten die meisten Einrichtungen im Sinne der Inklusion allen Kindern eine uneingeschränkte Teilhabe an. Dennoch kann es sehr hilfreich sein, wenn die Kita über speziell geschulte Fachkräfte, kleine Gruppengrößen oder besondere unterstützende Interventionsangebote verfügt (z. B. in heilpädagogischen Einrichtungen).

Unterstützende Interventionen

Kinder mit einer ASS können bereits in der Kita auf verschiedenste Weisen unterstützt werden. Zu diesen Interventionen zählen beispielsweise:1

Maßnahmen zur Gestaltung der Umgebung und Strukturierung des Tagesablaufs

  • Reizarme Räumlichkeiten
  • Hilfe bei Raum- oder Situationswechseln z. B. durch Bodenmarkierungen oder Bildkarten der Räume
  • Gliederung von Aktivitäten in Kleinstschritte (bildhafte Darstellungen der einzelnen Handlungsschritte, z. B. beim Händewaschen oder Anziehen)
  • Feste Strukturen durch Tages- oder Wochenpläne
  • Konkrete Zeitangaben durch Sand- oder Eieruhren

Aufbau von Kompetenzen beim Kind

  • Verstärkung positiven Verhaltens mit Hilfe von geeigneten Motivationsmitteln, die an den konkreten Interessen des Kindes orientiert sind
  • Erlernen von Handlungen durch „Prompting“ (z. B. körperliches Prompting: die Fachkraft führt die Hände des Kindes vollständig beim Erlernen einer neuen Aktivität wie Schuhe binden, Linien nachzeichnen o. ä.)
  • Genaue Verhaltensanalysen nach herausfordernden Situatione

Autismus in der Schule

Wenn Eltern ihr Kind mit ASS an einer Grund- oder weiterführenden Schule anmelden, kann auf Erwirken der Eltern oder des Schulleiters ein Antrag auf Ermittlung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs gestellt werden.

Hinweis: Die Zuweisung an eine Förderschule ist gegen den Willen der Eltern nicht möglich.

Seit der Einführung des inklusiven Bildungssystems werden Kinder mit ASS in allen Schulformen betreut. Vor allem in Regelschulen kann dies allerdings häufig eine besondere Herausforderung darstellen. Deshalb ist es wichtig, geeignete räumliche, sachliche sowie personelle Bedingungen innerhalb der Schule zu schaffen, um sich auf die individuellen Voraussetzungen des Kindes einzustellen.

Für Lehrer ist daher insbesondere ein Grundverständnis der Besonderheiten im Wahrnehmen, Denken, Lernen und Handeln von Schülern mit ASS sowie eine gute Vernetzung von Schule, Elternhaus und weiteren Institutionen (Therapeuten) unerlässlich. Alle Beteiligte sollten gemeinsam mit dem Schüler einen individuellen Förderplan der Ressourcen und Problembereiche erstellen, der in regelmäßigen Abständen überprüft und angepasst wird.

Strukturiertes Lehren und Lernen

Alle Schüler mit ASS brauchen verlässliche Strukturen und hilfreiche Regeln, an die sie sich halten können. Das kann in der Praxis z. B. so umgesetzt werden:2

Klassenraum

Dieser sollte übersichtlich strukturiert und möglichst reizarm sein. Grelles Licht oder ein hoher Geräuschpegel sollten vermieden werden.

Platzwahl

Schüler mit ASS sollten guten Sichtkontakt zur Lehrkraft und keine bedrängende Nähe zu ihren Mitschülern haben. Generell sollte der Sitzplatz möglichst wenig Ablenkung bieten und im besten Fall auch bei Raumwechseln gleichbleiben.

Sprache der Lehrkräfte

Lehrkräfte sollten das besondere Sprachverständnis der Betroffenen beachten. Dabei ist es wichtig, dass sie sprichwörtliche Redewendungen oder Ironie vermeiden und eine direkte Ansprache wählen.

Einsatz von Visualisierungen

Zur besseren Orientierung können z. B. Maßnahmen des TEACCH-Trainingskonzepts, das mit visuellen Strukturierungsanweisungen und Gliederungshilfen arbeitet, Tages- und Wochenpläne sowie visualisierte Verhaltensregeln angewendet werden.

Zeitvorgaben

Lehrkräfte sollten betroffenen Schülern bei Arbeitsaufträgen genaue Zeitangaben machen und ihnen ggf. mehr Bearbeitungszeit einräumen.

Umgang mit aggressivem Verhalten

Aggressives Verhalten sollte nicht verurteilt, sondern ergründet werden. Hilfreich ist die gemeinsame Entwicklung klarer „Rituale“ für einen routinierten Umgang mit Aggressionen.

„Home-Base“

Für Schüler mit ASS kann ein Rückzugsraum innerhalb der Schule, den sie bei Reizüberflutung, Überforderung und Unruhe nutzen können, unterstützend sein.

Pausengestaltung

Stressauslösende Faktoren während Pausensituationen sollten vermieden werden. Hilfreich können währenddessen räumliche Entspannungsalternativen sein wie der Verbleib in der Klasse, in der Bücherei oder in einer Ruhezone.

Rituale

Rituale geben Halt und Struktur. Wiederkehrende Aktivitäten könnten z. B. Begrüßungs- und Abschiedsrituale oder ein wöchentlich tagender Klassenrat sein.

Informationen an Mitschüler

Kinder mit einer ASS stoßen häufig auf Unverständnis. Um Mitschüler zu sensibilisieren, sollten diese über das Störungsbild informiert werden. Das erleichtert den gemeinsamen Unterricht und trägt zur Vermeidung von Missverständnissen bei.

Schulbegleitung

Für einzelne betroffene Schüler ist eine Schulbegleitung notwendig. Vielen ermöglicht erst die Assistenz den Besuch einer allgemeinen Schule. Diese Teilhabe an Bildung stellt eine Leistung zur Rehabilitation dar, die Eltern entweder auf Grundlage der Kinder- und Jugendhilfe (§ 35a SGB VIII) oder der Eingliederungshilfe (§ 112 Abs. 1 Satz 3 SGB IX) beantragen können (vgl. „Frühförderung für Kinder“).

Den Antrag auf Schulbegleitung können Eltern bei einem der Kostenträger einreichen. Die genaue Zuständigkeit klären die Leistungsträger untereinander. Dem Antrag sollte man Nachweise über die Notwendigkeit einer Schulbegleitung beifügen, z. B. in Form von fachärztlichen Stellungnahmen, Berichten von betreuenden Lehrern oder Autismus-Therapie-Zentren. Der wöchentliche Stundenumfang, die Dauer und der qualitative Inhalt der Schulbegleitung werden in der Gesamtplankonferenz (§ 117 SGB IX) bzw. dem Hilfeplanverfahren (§ 36 SGB VIII) individuell festgelegt.

Hinweis: Innerhalb der Eingliederungshilfe ist das sog. „Poolen“ von Leistungen (§ 112 Abs. 4 SGB IX) möglich, das heißt die Schulbegleitung kann an mehrere Leistungsberechtigte gemeinsam erbracht werden. So wäre ein Schulbegleiter für 2 oder mehr Schüler innerhalb einer Klasse zuständig. Da der Hilfebedarf für Kinder und Jugendliche mit ASS häufig jedoch eine individuelle Assistenz erfordert, ist Pooling in der Regel ausgeschlossen.

Schulische Nachteilsausgleiche

Kinder und Jugendliche mit ASS haben auch innerhalb der Schule Anspruch auf bestimmte Nachteilsausgleiche. Über Art und Umfang entscheidet die Schulleitung in Absprache mit den Lehrkräften. Sie halten die konkreten Umsetzungen im individuellen Förderplan des Betroffenen fest.

Hinweis: Die Gewährung der Nachteilsausgleiche darf nicht in Zeugnissen vermerkt werden.

Beispiele für die Umsetzung von Nachteilsausgleichen im Schulalltag:3

  • Verzicht auf soziale Arbeitsformen (Partner-, Gruppenarbeit)
  • Verzicht auf Mitschriften
  • Separater Raum für Klassenarbeiten
  • Zeitzugaben bei Klassenarbeiten
  • Modifizierung der Hausaufgaben
  • Individuelle Pausengestaltung
  • Strukturierungshilfen
  • Schriftliche anstelle mündlicher Leistungen

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Autismus

Therapiemöglichkeiten bei Autismus

Autismus Diagnostik

Rehabilitationsmöglichkeiten bei Autismus

Grad der Behinderung bei Autismus

Frühförderung bei Kinder mit Autismus

Eingliederungshilfen für Kinder und Jugendliche mit Autismus

Pflegebedürftigkeit bei Autismus

 


1 „Praxisbuch Autismus“. Rollet, B., Kastner-Koller, U., 5. Auflage 2018, S. 146 f.
2 „Schüler und Schülerinnen mit Autismus-Spektrum-Störung im gemeinsamen Unterricht“. Handreichungen Autismus Niedersachsen, 2019.

3„Leitlinien zur inklusiven Beschulung von Schülern mit Autismus-Spektrum-Störungen“. autismus Deutschland e.V., 2013, S. 13 ff.

 





 

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