Zuletzt aktualisiert am 17. November 2022

Autismus in der Ausbildung und im Beruf

Auch nach Beendigung der Schulzeit benötigen nahezu alle Schüler mit einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) weiterhin unterstützende Teilhabeleistungen. Das Berufs- und Erwachsenenleben sollte daher frühzeitig und vorausschauend geplant werden. Aufgrund der unterschiedlichen Ausprägung kommen für Betroffene zahlreiche Ausbildungswege und Berufszweige in Frage, angefangen von Werkstätten für Menschen mit Behinderung über schulische Ausbildungen bis zu Abitur oder Studium.

Berufswahl

Für Menschen mit ASS, welche die allgemeine Schulpflicht erfüllt haben, sind die berufliche Ausbildung oder der Weg auf den freien Arbeitsmarkt oft herausfordernd. Viele verfügen noch nicht über eine ausreichende berufliche Reife. Deshalb wird die Durchführung einer intensiven Berufsvorbereitung empfohlen. Erste Anlaufstelle ist dabei die Agentur für Arbeit. Sie hilft bei Fragen zur Berufswahl und fördert die berufliche Eingliederung der Betroffenen.

Zu den vorbereitenden Maßnahmen zählen z. B. eine berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme (BvB-Reha) oder eine Diagnose der Arbeitsmarktfähigkeit besonders betroffener Menschen mit Behinderung (DIA-AM).
 

Autismus und Berufsausbildungen

Entscheiden sich Jugendliche mit ASS für eine betriebliche Ausbildung, kann die Bundesagentur für Arbeit ihnen ausbildungsbegleitende Hilfen gewähren (§ 75 SGB III). Dabei kann es sich z. B. um Unterstützung bei Prüfungsvorbereitungen oder vermittelnde Gespräche mit Ausbildern handeln.

Junge Menschen mit Behinderung haben zudem die Möglichkeit, einen Beruf in einem Berufsbildungswerk (BBW) zu erlernen. Um sie in den allgemeinen Arbeitsmarkt einzugliedern, können Betroffene Berufsausbildungen in anerkannten Ausbildungsberufen sowie Maßnahmen zur Berufsvorbereitung ergreifen. In einigen BBWs ist für Auszubildende mit ASS auch eine 1 zu 1 Betreuung möglich.

Autismus und Studium

Möchten ASS-Betroffene studieren, haben sie die Wahl zwischen verschiedenen Hochschularten und Studiengängen.

Vor Antritt des Studiums ist es sinnvoll, einen Beratungstermin mit dem Inklusionsbeauftragten der jeweiligen Hochschule zu vereinbaren. Ebenfalls hilfreich kann die Kontaktaufnahme zur Fakultät sein, damit ggfs. Unterstützungsmaßnahmen rechtzeitig organisiert oder Professoren sensibilisiert werden können. Einige Hochschulen bieten zudem Tutoren- oder Mentorenprogramme an, die den Studieneinstieg zusätzlich erleichtern.
 


Im Rahmen der Eingliederungshilfe können Menschen mit ASS auch während des Studiums Hilfen zur hochschulischen Aus- oder Weiterbildung in Anspruch nehmen (§ 112 SGB IX). Dazu zählen Bachelor- sowie auch Masterstudiengänge, wenn diese aufeinander aufbauen. Betroffene können beim zuständigen Eingliederungshilfeträger z. B. eine Studienbegleitung beantragen, die ihnen bei der Organisation und Orientierung im Studium hilft, sie bei der Interaktion mit Kommilitonen begleitet oder sie psychosozial stützt. Neben Assistenzleistungen gewährt die Eingliederungshilfe weitere Mehrbedarfe wie technische Hilfsmittel oder Mobilitätshilfen.

Bei einer festgestellten Behinderung kommt für Studierende zusätzlich die Inanspruchnahme einiger Nachteilsausgleiche infrage, um z. B. Gestaltungsspielräume bei der Studienorganisation zu erhalten oder Prüfungsbedingungen individuell anpassen zu lassen. Einen Antrag können sie beim Prüfungsausschuss bzw. Prüfungsamt stellen. Dabei sollten sie z. B. die gewünschten Prüfungsmodifikationen nennen und begründen.

Autismus und Berufstätigkeit

Je nach Ausprägungsgrad kommen für Menschen mit ASS 3 unterschiedliche Arbeitsbereiche in Frage:

  • Arbeitsplätze auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
  • Teilgeschützte Arbeitsplätze
  • Geschützte Arbeitsplätze in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM)

Aktuell existieren keine genauen Zahlen über die Beschäftigungssituation von Menschen aus dem Autismus-Spektrum. Studien deuten allerdings darauf hin, dass in Deutschland nur wenig Betroffene angemessene Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt haben.1

 

Arbeitsplätze auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt

Als erwerbsfähig gilt, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig sein kann (§ 8 SGB II). Auch Menschen mit ASS, die dies erfüllen und gut ausgebildet sind, fällt es oft schwer, auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und ihre Fähigkeiten wie logisches Denkvermögen, Detailgenauigkeit, Konzentration oder Zuverlässigkeit angemessen einzubringen.

Dies ist häufig den unpassenden Rahmenbedingungen im Betrieb oder einer zu geringen Sensibilisierung der Vorgesetzten und Kollegen geschuldet. Weitere Herausforderungen für Betroffene sind die soziale Interaktion, eine erhöhte Reizbelastung, ein strukturiertes Zeitmanagement sowie die oftmals geforderte Flexibilität.

Durch organisatorische sowie personelle Unterstützungsmaßnahmen können Stresssituationen im Arbeitsalltag jedoch minimiert und psychisch belastenden Situationen kann vorgebeugt werden.

Geeignete betriebliche Strukturen können beispielsweise sein:

  • Exakte Arbeitseinweisungen (ggfs. mit visueller/schriftlicher Darstellung einzelner Arbeitsschritte)
  • Eindeutige Sprache bei Arbeitsaufträgen (Vermeiden von Redewendungen/ironischen Aussagen)
  • Genaue Darstellung des erwarteten Arbeitsergebnisses und des zur Verfügung stehenden Zeitrahmens (möglichst wenig Zeitdruck und kein Multitasking)
  • Schaffung von Rückzugsmöglichkeiten
  • Teilnahme an Betriebsausflügen, Feiern oder gemeinsamen Essen auf freiwilliger Basis
  • Reizarme Arbeitsumgebungen (z. B. Einzel- oder Zweiergruppenarbeitsplätze, Homeoffice-Möglichkeit, schriftliche statt telefonischer Kommunikation)
  • Verlässliche Ansprechpartner (z. B. durch betriebsinterne Mentoren)
  • Technische Hilfen für den Arbeitsplatz (z. B. Noise-Cancelling-Kopfhörer/Kurzzeitmesser; nachzulesen unter www.rehadat-hilfsmittel.de/de/)
  • Arbeitsassistenz (Handbuch mit näheren Informationen unter www.bag-ub.de/aaz/handbuch)
Exkurs: Offenlegung der Diagnose ASS

Gemäß des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) dürfen Arbeitgeber nur nach einer Schwerbehinderung fragen, wenn sich die Behinderung auf die Berufsausübung auswirkt. Die Frage danach ohne den notwendigen Bezug zur konkreten Tätigkeit, stellt eine unzulässige Diskriminierung dar. Durch die unterschiedlichen Ausprägungen der ASS ist keine grundsätzliche Ungeeignetheit für bestimmte berufliche Tätigkeiten bekannt. Betroffene können in diesen Fällen selbst entscheiden, ob sie von der Störung berichten. Ein offener Umgang mit der Diagnose sowie einer daraus folgenden möglichen (Schwer-)Behinderung kann jedoch die Teilhabe am Arbeitsleben erleichtern und spezielle Nachteilsausgleiche gewährleisten (§ 154 ff. SGB IX). Bei Unsicherheiten wäre es möglich, die eigene Diagnose nicht direkt im Bewerbungsschreiben, jedoch im Rahmen eines Vorstellungsgesprächs anzugeben.2

 

Teilgeschützte Arbeitsplätze

Als teilgeschützte Arbeitsplätze gelten beispielsweise Anstellungen in Integrationsfirmen, Außenarbeitsplätze der WfbM sowie das Konzept der „Unterstützten Beschäftigung“ (weitere Informationen). Die Maßnahmen zielen auf die Vermittlung und Erhaltung von Arbeitsverhältnissen für Menschen mit Behinderung in Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarktes ab.

Als bekannte Unterstützungsmaßnahme hat sich dabei das Job-Coaching bewährt. Das meist von externen Fachkräften durchgeführte betriebsintegrierte Arbeitstraining kann Betroffenen helfen, geeignete Arbeitsplätze zu finden, sie auf soziale und alltagspraktische Anforderungen vorzubereiten und individuelle Arbeitsanpassungen umzusetzen. Außerdem können Job-Coaches Betriebe unterstützen und die Mitarbeiter über Besonderheiten der Störung aufklären.3

Geschützte Arbeitsplätze in Werkstätten für behinderte Menschen

In der UN-Behindertenrechtskonvention ist verankert, dass es allen Menschen mit Behinderungen möglich sein soll, ihren Lebensunterhalt durch Arbeit selbst zu verdienen. Einige Betroffene sind jedoch aus unterschiedlichen Gründen von Erwerbsarbeit ausgeschlossen. Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) können ihnen dann die Teilhabe am Arbeitsleben ermöglichen.

Das Arbeitsverhältnis in einer WfbM zielt darauf ab, eine individuell angemessene berufliche Bildung und Beschäftigung anzubieten und die Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit der Betroffenen zu erhalten, zu entwickeln, zu erhöhen oder wiederzugewinnen. Ebenfalls sollen dabei ihre Persönlichkeitsentwicklung sowie der Übergang in den allgemeinen Arbeitsmarkt gefördert werden; der finanzielle Gewinn steht dabei nicht im Vordergrund.

Grundsätzlich steht eine WfbM allen Menschen, unabhängig von Art oder Schwere ihrer Behinderung, offen. Es muss jedoch erwartet werden, dass, spätestens nach Teilnahme an einer Berufsbildungsmaßnahme, ein "Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung" (§ 219 As. 2 SGB IX) erbracht werden kann.

Die WfbM verfügen über ein breites Angebot an Berufsbildungs- und Arbeitsplätzen. Beispielsweise gibt es Werkstätten, die besondere Angebote für Menschen mit ASS bereitstellen.

Hinweis: Gemäß Beschluss des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 27.11.2014 (Az. L 2 AL 41/14 B ER) kann eine Arbeitsassistenz auch für einen Beschäftigten mit ASS in einer WfbM für gewährt werden.
 

 


1 „Klare Sprache statt Klischees. Wie sich die berufliche Teilhabe von Menschen mit Autismus gestalten lässt.“ REHADAT Wissensreihe, Ausgabe 08, 2019, S. 19.
2 „Rechte von Menschen mit Autismus. Ratgeber zu den Rechtsansprüchen von Menschen mit Autismus und ihrer Angehörigen“. autismus Deutschland e. V., 2017, S. 21 f.
3 „Klare Sprache statt Klischees. Wie sich die berufliche Teilhabe von Menschen mit Autismus gestalten lässt.“ REHADAT Wissensreihe, Ausgabe 08, 2019, S. 40 f.

 


 

 

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