Zuletzt aktualisiert am 20. Februar 2023
Besondere Wohnformen für Menschen mit Behinderungen
Mit Inkrafttreten der 3. Reformstufe des Bundesteilhabegesetzes am 1.1.2020 haben sich weitreichende Änderungen für Menschen mit Behinderung ergeben, die in besonderen Wohnformen leben (vormals stationäre Einrichtungen der Eingliederungshilfe).
Die bisherigen Eingliederungshilfen für Menschen mit Behinderung (SGB IX) wurden aus den Lebensunterhaltsleistungen des zwöflten Sozialgesetzbuches (SGB XII) ausgegliedert. Somit sind die Leistungen des Teilhabegesetzes nicht mehr an die Anspruchsvoraussetzungen der Sozialhilfe gekoppelt.
Die Neuerungen wirken sich vor allem auf die Finanzierung des Lebens in besonderen Wohnformen aus. Existenzsichernde Leistungen zum Lebensunterhalt werden nun unabhängig davon erbracht, ob der Mensch mit Behinderung in einer eigenen Wohnung oder einer (teil-) stationären Einrichtung lebt. Stattdessen wird die Hilfe personenzentriert geleistet.
Rechtslage bis Ende 2019
Bis zum 31.12.19 wurde der gesamte Lebensbedarf von erwachsenen Menschen mit Behinderung durch die stationäre Einrichtung sichergestellt. Dieses „Gesamtpaket“ setzte sich zusammen aus existenzsichernden Leistungen (Verpflegung, Unterkunft, Bekleidung etc.) sowie aus Leistungen der Eingliederungshilfe (Assistenzleistungen etc.).
Die Einrichtungsleitung erhielt für jeden Bewohner einen monatlichen Geldbetrag vom zuständigen Träger der Sozialhilfe. Außerdem hatte jeder Bewohner Anspruch auf einen monatlichen Barbetrag zur persönlichen Verfügung (Taschengeld) sowie eine Kleiderpauschale.
Rechtslage seit 1. Januar 2020
Durch die Gesetzesänderung wurde das bisherige „Gesamtpaket" geöffnet und die existenzsichernden Leistungen von den Leistungen der Eingliederungshilfe getrennt. Weiterhin erhält der Betreiber des Wohnheims die Kosten für die Eingliederungsleistungen direkt vom Träger der Eingliederungshilfe.
Die existenzsichernden Leistungen werden den Bewohnern dagegen direkt vom örtlichen Sozialamt auf ihre eigenes Girokonto ausbezahlt. Sie erhalten den Regelsatz der Bedarfsstufe 2 (451 € in 2023). Dieser Betrag enthält auch das Taschengeld bzw. die Kleiderpauschale.
Anders als zuvor verfügt der Bewohner selbst bzw. mit Unterstützung eines rechtlichen Betreuers über den Geldbetrag. Daher muss er sicherstellen, dass die Kosten für Unterkunft und Verpflegung an die besondere Wohnform überwiesen werden.
Welcher genaue Anteil vom Regelsatz den Betroffenen als Bargeldleistung für ihren persönlichen Bedarf verbleibt, wird innerhalb der Gesamtplankonferenz (§ 119 SGB IX) besprochen. Das Beratungsergebnis wird im Gesamtplan dokumentiert und ist dadurch rechtlich verbindlich (§ 121 Abs. 4 Nr. 6 SGB IX).
Menschen mit Behinderung haben Anspruch auf Grundsicherungsleistungen, wenn sie dauerhaft voll erwerbsgemindert sind und ihr eigenes Einkommen zur Bestreitung der Unterhaltskosten nicht ausreicht.
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung kann auch als aufstockende Leistung gewährt werden, wenn das Einkommen aus einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung oder die Renteneinkünfte nicht ausreichen.
Besteht aufgrund von höhreren Rentenbezügen kein Anspruch auf Grundsicherung, kann ein Anspruch auf Wohngeld bestehen.
Die Trennung der Leistungen gilt nur für volljährige Menschen mit Behinderung, nicht für Kinder und Jugendliche. Für Minderjährige ändert sich das System der (teil-) stationären Leistungen nicht. Die Leistungen enthalten weiterhin auch existenzsichernde Anteile wie Verpflegung und Unterkunft.
Für einige Erwachsene gilt die Trennung der Leistung jedoch nicht. Anstelle des direkt ausgezahlten Regelsatzes, erhalten sie weiterhin einen Barbetrag und Kleiderpauschale:
- volljährige Leistungsberechtigte, die aufgrund ihrer Behinderung ein Schul- oder Ausbildungsinternat besuchen
- junge Volljährige, die für kurze Zeit weiter in einer Wohneinrichtung für junge Menschen leben, in der sie bereits vor Vollendung ihres 18. Lebensjahres gewohnt haben
Mehrbedarfe für Bewohner
Grundsicherungsberechtigte, die in besonderen Wohnformen leben, können Anspruch auf einige monatlich zu leistende sowie einmalige Mehrbedarfe haben. Diese werden für besondere Lebensumstände gewährt, in denen Betroffene erhebliche Mehrkosten aufwenden müssen.
Die genauen Mehrbedarfe sind nachzulesen unter Mehrbedarf der Sozialhilfe.
Die Trennung der Fachleistungen hat auch Folgen für das Mittagessen in Werkstätten für Menschen mit Behinderung (WfbM). Die Lebensmittelkosten des Mittagessens gehören zu den existenzsichernden Leistungen und müssen nun von allen Werkstattbeschäftigten selbst bezahlt werden, wenn sie an der Mittagsverpflegung teilnehmen.
Für die gemeinschaftliche Mittagsverpflegung in WfbM ist ein Mehrbedarf anerkannt (§ 42b SGB XII). Er beträgt 3,80 € pro Mittagessen und wird jährlich angepasst.
Werkstattbeschäftigte, die Grundsicherungsleistungen beziehen, können das Mittagessen unentgeltlich erhalten.
Übernahme von Unterkunftskosten
Für Menschen in besonderen Wohnformen werden die Leistungen für Unterkunft und Heizung ebenfalls von der Grundsicherung abgedeckt und an die Bewohner ausgezahlt.
Das Sozialamt übernimmt unter bestimmten Voraussetzungen die Mietkosten der stationären Einrichtung. Die Übernahme der Kosten erfolgt vollständig, wenn die Miete bzw. das Entgelt für das Wohnen angemessen sind. Dabei orientiert sich das Sozialamt an den Unterkunftsrichtlinien der Kreise und kreisfreien Städte (§ 45a SGB XII).
Ist die Miete der besonderen Wohnform höher als die ortsspezifisch angemessenen Unterkunftskosten für einen Einpersonenhaushalt, gewährt das Sozialamt darüber hinaus einen 25 %-igen Aufschlag. Demnach werden Mieten übernommen, die 125 % der angemessenen Unterkunftsrichtlinien betragen.
Voraussetzung dafür ist, dass in dem Wohn- und Betreuungsvertrag des Bewohners ein Zuschlag vereinbart wurde, der die höhere Miete bzw. das höhere Entgelt rechtfertigt (z. B. für Möblierung).
Für den Fall, dass die Mietkosten die 125 % Angemessenheitsgrenze übersteigen, werden können die darüber liegenden Kosten durch den Träger der Eingliederungshilfe übernommen werden.
Kostenbeteiligung der Eingliederungshilfeträger
Die Träger der Eingliederungshilfe übernehmen verschiedene Kosten in besonderen Wohnformen. Dazu zählen zum einen Kosten für Unterkunft und Heizung oberhalb der 125 % Angemessenheitsgrenze (s.o.) sowie Assistenzleistungen. Dabei wird die Eingliederungshilfe direkt an die besondere Wohnform und nicht an den Bewohner selbst gezahlt. Zudem müssen die Leistungen vorab beim zuständigen Eingliederungshilfeträger beantragt werden (§ 108 SGB IX).
Leistungen der Eingliederungshilfe sind abhängig von Einkommen und Vermögen. Menschen mit Behinderung bzw. die einstandsplichtigen Eltern eines Minderjährigen müssen sich jedoch nicht an allen Leistungen finanziell beteiligen.
Der Gesetzgeber hat einige Leistungen festgelegt, die ohne Kostenbeteiligung gewährt werden. Dazu zählen z. B. Leistungen der Frühförderung, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder Hilfen zur Schulbildung (§ 138 Abs. 1 SGB IX). Leistungen, die eine Kostenbeteiligung fordern, sind beispielsweise Leistungen der Sozialen Teilhabe.
Seit 2020 gilt eine neue Einkommengrenze, nach welcher ein bestimmtes Einkommen des Bewohners einen bestimmten Kostenbeitrag auslöst (für Näheres siehe Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung). Der Beitrag muss direkt an die besondere Wohnform abgeführt werden. Da viele der Bewohner jedoch neben den Eingliederungshilfeleistungen auch Leistungen der Grundsicherung erhalten, ist das veränderte Kostenbeitragssystem für wenige relevant.
Die Vermögensfreigrenze der Eingliederungshilfe liegt bei 61.110 €. Partnervermögen wird nicht berücksichtigt. Diese Grenze gilt nur dann, wenn allein Eingliederungshilfeleistungen bezogen werden. In der Regel werden jedoch noch weitere Leistungen bezogen. Dann sinkt die Vermögensfreigrenze.
Für Bezieher von Grundsicherungsleistungen wie Hilfe zum Lebensunterhalt oder Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung Hilfe zur Pflege beträgt der Vermögensfreibetrag Vermögensschonbetrag seit 1. Januar 2023 bis zu 10.000 € für jede volljährige oder alleinstehende minderjährige Person. weiterhin 5.000 €. Darüber hinaus wird ein weiterer Schonbetrag von 500 € für jede Person gewährt, für die Unterhalt gezahlt werden muss, z. B. für Kinder von Leistungsberechtigten.
Bei der Hilfe zur Pflege bleibt unter bestimmten Voraussetzungen auch ein zusätzlicher Betrag von bis zu 25.000 € unberücksichtigt. [@Jürgen: Gilt es immer noch bzw. jetzt dann 25.000 + 10.000? Konnte online gerade nichts finden]
Mit Einführung des Angehörigen-Entlastungsgesetzes Anfang 2020 müssen Eltern keinen Beitrag mehr zu den Eingliederungshilfeleistungen ihres volljährigen Kindes zahlen. Allein wenn das Bruttojahreseinkommen der Eltern über 100.000 € liegt und ihr erwachsenes Kind Grundsicherungsleistungen erhält, müssen sie einen anteiligen Unterhaltsbeitrag leisten.
Anlaufstellen und weitere Informationen
Ergänzende Unabhängige Teilhabeberatung
Bürgertelefon des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zum Thema Behinderung
Telefon: 030 221 911 006 (Mo. - Do. 08:00 - 20:00 Uhr, kostenfrei)
Darüber hinaus kannst Du dich an öffentliche Beratungsstellen und Beratungsstellen von Selbsthilfeorganisationen wenden. Die Träger der Eingliederungshilfe sind ebenso zur Beratung und Unterstützung verpflichtet.