Zuletzt aktualisiert am 20. Dezember 2021

Hilfreiche und psychosoziale Tipps für Angehörige von Opioidabhängigen

Suchterkrankungen wirken sich auf das gesamte soziale Gefüge aus. Vor allem Partner, Kinder, Eltern, aber auch Freunde und Arbeitskollegen sind häufig mitbetroffen. Es ist schwer zu ertragen, wie sich der Betroffene durch die Sucht verändert. Viele wollen helfen, wissen aber nicht wie.

Gefahr der Co-Abhängigkeit

Die Verzerrung und Verleugnung der Problematik ist ein zentrales Merkmal der Sucht, daher sind Eingriffe von außen sehr schwierig. Angehörige, die helfen wollen, laufen Gefahr, sich selbst aufzuarbeiten und zu viel Verantwortung zu übernehmen.

Im Fachjargon spricht man in diesem Zusammenhang auch von Co-Abhängigkeit. Sie ist unter anderem gekennzeichnet durch eigentlich gut gemeinte Verhaltensweisen, die es dem Abhängigen letztlich aber erleichtern, die Sucht aufrecht zu erhalten, zum Beispiel:

  • Der Konsum wird verschleiert, entschuldigt oder gerechtfertigt (Anruf beim Arbeitgeber)
  • Dem Betroffenen werden Belastungen abgenommen oder erspart (Haushalt, Familie)
  • Eigene Gefühle und Tatsachen bezüglich der Abhängigkeit werden geleugnet.1

Wer einem Opiatabhängigen nahesteht sollte darauf achten,

  1. sich in erster Linie selbst zu helfen,
  2. sich zu informieren und professionelle Beratung aufzusuchen, denn wer die Krankheit versteht kann mit sich und dem Abhängigen besser umgehen,
  3. eigene Grenzen und Bedürfnisse wahrzunehmen,
  4. sich selbst und mögliche weitere Angehörige und Kinder zu schützen,
  5. das Gefühl der Verantwortung loszulassen,
  6. klare Grenzen zu setzen und konsequent zu handeln.
     
Wichtig:

Angehörige können durch gezieltes Handeln, oder paradoxerweise auch durch gezieltes Nichthandeln, oftmals den Stein ins Rollen bringen und Abhängigen helfen, ihre Krankheit anzugehen und letztlich abstinent zu leben.


Auch während der Substitution und der Stabilisierung eines abstinenten Lebensstils ist die Unterstützung der Angehörigen von großem Wert. Dabei ist ein ehrlicher und klarer Umgang wichtig, bei dem auch negative Gefühle, Unsicherheiten und Ängste offen angesprochen werden. Haben sich die Angehörigen Unterstützung geholt und sich über die Suchterkrankung informiert, verstehen sie besser, wie sich Suchtkranke fühlen und worauf sie ihr gemeinsames abstinentes Leben abstimmen müssen.

Denn:
Der beste Stabilisator sind Angehörige und Freunde, die selbst gut und gerne leben, die den Suchtkranken spüren lassen, dass sie ihn so akzeptieren, wie er ist und die zeigen, dass sie sich über das Zusammensein mit ihm freuen.
 

Wichtig

Für nahe Bezugspersonen und damit direkt von der Suchterkrankung Mit-Betroffene, ist der Besuch einer Selbsthilfegruppe und / oder Beratungsstelle dringend zu empfehlen!

Verhalten in akuten Notfallsituationen

Nahen Bezugspersonen bleibt es manchmal leider nicht erspart, den Opiatabhängigen in einem unter Umständen lebensbedrohlichen Zustand vorzufinden. Auslöser können z. B. ein kalter Entzug, oder - was wahrscheinlicher ist - eine Überdosierung des Opiats sein. In beiden Fällen sind zielgerichtetes Handeln und schnelle Hilfe gefragt.

Betroffener bewusstlos, nicht ansprechbar

Ist die Person bewusstlos oder hat einen Krampfanfall, muss unverzüglich der europaweite Notruf 112 gewählt werden.

Hinweis: Ärzte und Notfallsanitäter unterliegen der Schweigepflicht. Ist am Telefon aber neben medizinischen Schlagworten wie Bewusstlosigkeit oder Atemstillstand auch von Drogen die Rede, kann u. U. durch die Rettungsleitstelle die Polizei mitverständigt werden.

Bei Bewusstlosigkeit muss umgehend der Notruf 112 gewählt werden
Bei Bewusstlosigkeit muss umgehend der Notruf 112 gewählt werden


Die Rettungsleitstelle gibt bis zum Eintreffen des Rettungswagens Anweisungen, was zu tun ist. Die einzuleitenden Maßnahmen hängen von der Art des Notfalls und dem Zustand des Patienten ab.

Generell gilt:2

  • Ruhe bewahren
  • Betroffenen laut ansprechen, vorsichtig an den Schultern rütteln
  • Bei Bewusstseinseinschränkung oder gar Reaktionslosigkeit: Notruf 112 wählen
  • Anweisungen der Leitstelle am Telefon befolgen; in der Regel stabile Seitenlage und zuvor ggf. Atemwege frei machen, sofern Patient atmet; andernfalls kontinuierliche Herzdruckmassage (und evtl. Beatmung) durchführen, bis der Rettungsdienst eintrifft
     

Naloxon Take-home Programme

Naloxon wird im Rettungsdienst und von (Not-)Ärzten als Antidot bei Opioid-Überdosierungen eingesetzt. Seit mehreren Jahren wird darüber diskutiert, ob und wie Naloxon auch in Deutschland als Notfallmedikation abgegeben werden kann bzw. darf. Derzeit laufen bundesweit einige Pilotprogramme für Opiatabhängige und deren An- und Zugehörige.

Weiterführende Informationen zum Thema unter:

JES (Junkies – Ehemalige –Substituierte) NRW: NALOXON. Ein Leitfaden zur Naloxonvergabe an Opiatkonsument*innen im Rahmen niedrigschwelliger Drogenarbeit: http://www.vision-ev.de/wp-content/uploads/2017/01/Naloxon-v6.5-web.pdf

Informationen zur Drogennotfallprophylaxe des Bundesverbandes für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenarbeit: https://naloxoninfo.de/

Betroffener bei Bewusstsein, ansprechbar

Ist der Patient ansprechbar, aber benommen oder erregt, und ist ungewiss, ob es zu einem lebendbedrohlichen Zustand kommen wird, hängt das weitere Vorgehen von der individuellen Situation ab.

Wichtig ist stets, dass sich Helfer selbst schützen. Fühlen sie sich bedroht oder mit dem Zustand des Konsumenten überfordert, sollten sie sich selbst aus der Situation nehmen und anderweitige Hilfe oder Unterstützung organisieren – entweder durch das Absetzten eines Notrufs (112) oder indem sie andere, z. B. Freunde, Familienmitglieder, hinzuziehen.

Fühlen sich Angehörige der Situation gewachsen und wollen den Betreffenden unterstützen, sollten sie auf folgende Punkte achten:

  • Ruhe bewahren, dabei klar und bestimmt auftreten
  • Behutsame Kontaktaufnahme, d. h. Person ansprechen und ggf. wach halten
  • Beruhigend auf die Person einwirken / einreden, sog. „Talk Down”
  • Für eine angenehme Atmosphäre und einen geschützten Rahmen sorgen, z. B. durch das Anbieten einer Decke, Frischluftzufuhr, nassen Wachlappen, Brecheimer
  • Alkoholfreie, nicht aufputschende Getränke anbieten
  • Hat der Betroffene Angst, darauf hinweisen, dass dies auf die Wirkung des Opiats/ Entzugs zurück zu führen ist und vorüber gehen wird. Gedanken in eine positive Richtung lenken. Körperkontakt halten. Bei der Person bleiben.
  • Wirkt der Patient aufgebracht oder bedrohlich erregt, körperliche Distanz wahren. Kontaktaufnahme durch Gesprächsangebot („Du wirkst sehr aufgebracht“). Nicht emotional auf etwaige Beschuldigungen oder Provokationen reagieren, stattdessen spätere Klärung anbieten.
  • Im Zweifelsfall Hilfe holen (Notarzt oder Polizei über den allgemeinen Notruf 112)

 

 

1Vgl. "Suchtfibel". Ralf Schneider. 2009. Seite 251 ff.

2 Vgl. „Drogenabhängigkeit“. Suchtmedizinische Reihe Band 4. Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen. 4. Auflage Mai 2016; Seite 69 ff.

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