Zuletzt aktualisiert am 20. Dezember 2021

Leben mit bipolaren Störungen

Die Diagnose bipolare Störung ist für manche Patienten eine Erleichterung, weil sie ihr extremes Erleben und Verhalten erklärt. Andere sind zunächst schockiert. Erkrankte sollten die Diagnose in Ruhe verarbeiten und dann planen, wie sie damit am besten umgehen.

Umgang mit der Diagnose

Zunächst ist es wichtig, sich über die Erkrankung umfassend zu informieren. Als erste Informationsquellen eignen sich fachlich fundierte Seiten im Internet, Fachbücher und praktische Ratgeber.

Denn: Zum Experten bezüglich der eigenen Erkrankung zu werden, kann entscheidend zum positiven Verlauf der Therapie beitragen.

Wer die Erkrankung und ihre Symptome kennt, kann schneller aktiv gegensteuern und sich zum Beispiel Unterstützung bei Selbsthilfegruppen, sozialpsychiatrischen Diensten oder anderen Beratungsstellen suchen. Essenziell ist zudem das Wissen, dass bipolare Störungen behandelt werden können. Betroffene sollten sich auf jeden Fall professionelle Hilfe suchen!
 

Frühwarnsymptome

Die bipolare Erkrankung betrifft Männer und Frauen gleichermaßen. Allerdings beginnt sie bei Frauen eher mit einer depressiven und bei Männern eher mit einer manischen Phase.1 Nicht selten kündigen Frühwarnsymptome eine Krankheitsepisode bereits im Vorfeld an.

Frühwarnsymptome einer Depression

Anzeichen einer beginnenden depressiven Phase können sein:

  • Unspezifische Schmerzen
  • Ständige Müdigkeit, Energiemangel, nachlassendes sexuelles Interesse
  • Reizbarkeit, Angst, Schlafstörungen
  • Zunehmende Lustlosigkeit, gedrückte Stimmung
  • Appetitlosigkeit

Bei einer depressiven Phase verstärken sich die oben genannten Symptome über Tage, Wochen oder Monate hinweg.
 

Frühwarnsymptome einer Manie

Die Frühwarnsymptome einer manischen Phase – auch Hypomanie genannt – sind sehr unterschiedlich. Erfahrung, gute Selbstbeobachtung und Austausch mit anderen Betroffenen können dabei helfen, erste Anzeichen zu erkennen, z.B.:

  • Veränderte Wahrnehmung
  • Gehobene Stimmung
  • Stärkere Kontaktbereitschaft
  • Gesteigertes Selbstvertrauen
  • Konzentrationsschwierigkeiten

Beim Auftreten einer Hypomanie können Patienten unter Umständen noch das komplette Abgleiten in die Manie verhindern. Es kann z. B. helfen, äußere Reize und Stress zu reduzieren sowie auf einen geregelten Tagesablauf und ausreichend Schlaf zu achten.

Mit der Zeit können Erkrankte ein Gespür dafür entwickeln, ab wann Schlafmangel, das Aktivitätsverhalten oder finanzielle Ausgaben ein kritisches Level erreichen.

Umgang mit der Erkrankung

Es gibt einige Strategien, mit denen Patienten Krankheitsepisoden und Phasen, in denen sich diese ankündigen, besser bewältigen können.

Tagesstruktur erhalten

In einer akut depressiven Phase fühlen sich die Betroffenen oft nicht in der Lage, aufzustehen und hinauszugehen. Dadurch verschlechtert sich die Stimmung, es entsteht ein Teufelskreis. Manische Patienten dagegen sind hyperaktiv und laufen Gefahr, völlig den Kontakt zur Realität zu verlieren.

In dieser Situation sind konkrete „Alltagsanker“ hilfreich, die den Tag strukturieren. Erkrankte sollten morgens zu einer bestimmten Zeit aufstehen, zu festen Zeiten eine Mahlzeit zu sich nehmen und leicht zu bewältigende Aufgaben erledigen, wie z.B. tägliches Blumengießen. Rituale helfen, dem Tag eine Zeitstruktur, Aufgabe und Sinn zu geben.2

Aktiv bleiben

Vor allem in einer depressiven Episode sollten Betroffene versuchen, Dinge zu unternehmen, die ihnen Freude machen. Sport und körperliche Betätigung sind sehr zu empfehlen. Schon kleine Ziele, die keinen Stress und damit mögliche negative Gedanken erzeugen, wirken sich vorteilhaft auf das Befinden aus.

 

Sport ist in einer depressiven Phase sehr zu empfehlen
Sport ist in einer depressiven Phase sehr zu empfehlen

Sozialen Rückzug vermeiden

Patienten sollten versuchen, soziale Kontakte aufrecht zu erhalten. Bereits der tägliche Gang zum Bäcker oder Kiosk hilft, den vollständigen sozialen Rückzug zu vermeiden und die Ängste vor anderen Menschen nicht überhand nehmen zu lassen.

Suchtmittel meiden

Drogen und Alkohol scheinen Probleme kurzfristig zu lösen, führen aber langfristig zu weiteren Schwierigkeiten und verschlimmern die Gesamtsituation. Von Suchtmitteln ist daher dringend abzuraten!

Medikamente korrekt einnehmen

Patienten sollten die verschriebenen Medikamente unbedingt korrekt und regelmäßig einnehmen. Tritt die gewünschte Wirkung trotzdem nicht ein oder treten (neue / gravierende) Nebenwirkungen auf, sollten sie ihren behandelnden Arzt aufsuchen.

Psychotherapie

Durch eine Verhaltens- oder Psychotherapie lernen Patienten, Frühsymptome schneller zu erkennen und mit einer akuten Krankheitsphase besser umzugehen.

Angehörige einbeziehen

Der Kontakt mit Freunden und Verwandten ist für Patienten sehr wichtig. Angehörige und Erkrankte sollten sich gegenseitig respektieren und persönliche Grenzen akzeptieren.
 

Angehörige und Freunde helfen im Umgang mit der Erkrankung
Angehörige und Freunde helfen im Umgang mit der Erkrankung

Mit Suizidgedanken richtig umgehen

Wenn Patienten Suizidgedanken haben, sollten sie darüber unbedingt mit nahen Freunden, Angehörigen, einem Arzt, Mitarbeitern des sozialpsychiatrischen Dienstes, der Telefonseelsorge oder anderen Notdiensten sprechen. Bei akuten Krisen sollten sie – auch nachts – das nächstgelegene Krankenhaus oder den ärztlichen Notdienst aufsuchen

Unterstützungsmöglichkeiten in der manischen Phase

In einer manischen Phase verhält sich der Betroffene irrational, uneinsichtig und exzessiv. Jetzt ist es für Angehörige besonders wichtig, sich klar zu machen, dass dieses Verhalten ein Symptom der Erkrankung und keine Mutwilligkeit ist.

Handlungsempfehlungen in der Manie

Angehörige können auf das Verhalten des manischen Patienten gezielt einwirken. Folgende Handlungsweisen haben sich u. a. bewährt:3

  • Den Betroffenen von stimulierenden Aktivitäten fernhalten und Aufregung vermeiden
  • Autoritäres Verhalten vermeiden, aber nachdrücklich und konsequent handeln
  • Keine langen Diskussionen führen, da in der manischen Phase vernünftige Argumente nicht greifen
  • Nicht auf die euphorische Stimmung des Patienten oder auf unrealistische Ideen eingehen
  • Freundlich bleiben und mit ehrlichem Interesse auf Augenhöhe kommunizieren
  • Ehrlich und authentisch bleiben, um sich selbst und den Betroffenen in der Realität zu verankern
  • Auseinandersetzungen sofern möglich aus dem Weg gehen, bei körperlichen Angriffen unbedingt schnellstmöglich Hilfe holen (notfalls Polizei)

Handlungsempfehlungen nach der Manie

Das wichtigste Ziel ist es, zusammen mit dem Betroffenen daran zu arbeiten, die manische Thematik zu verstehen. Patienten sollten danach ermutigt werden, aus dem Inhalt ihres Krankheitsbildes zu lernen und die Erkenntnisse für ihre Persönlichkeitsentwicklung und ihr weiteres Leben zu nutzen.4

Unterstützungsmöglichkeiten in der depressiven Phase

Auch eine depressive Phase belastet nicht nur den Erkrankten, sondern auch die Menschen in seiner Umgebung. Schnell gesellen sich zur Hilflosigkeit auch Überlastung und Ärger über den Erkrankten.

Geduldig bleiben

Menschen in depressiven Episoden ziehen sich häufig von der Umwelt, auch von den engsten Bezugspersonen, zurück. Angehörige sollten Geduld haben, Gesprächsbereitschaft signalisieren, die Gefühle des Patienten ernst nehmen und sich selbst keinesfalls von dem Erkrankten abwenden.

Auf die Wortwahl achten

Unwissen, Hilflosigkeit und Ungeduld verleiten Angehörige und Freunde oftmals zu gut gemeinten, aber nutzlosen und sogar schädlichen Ratschlägen wie „Kopf hoch“, „Ist doch nicht so schlimm“, „Reiß dich mal zusammen“ oder „Lach doch mal“. Depressive Patienten können das nicht erfüllen und fühlen sich unter Umständen in ihren Schuldgefühlen verstärkt. Angehörige sollten stattdessen konstruktiv argumentieren und immer wieder daran erinnern, dass es sich um eine behandelbare Erkrankung handelt, die nichts mit Willensschwäche zu tun hat.

Motivieren – ohne zu überfordern

Angehörige können Menschen in depressiven Episoden dabei unterstützen, den Alltag zu bewältigen, dürfen ihnen aber nicht dauerhaft alle Aufgaben abnehmen. Sie sollten auf eine tägliche Routine achten, den Betroffenen zu kleinen Aktivitäten ermuntern und seinen Blick auf Erfolgserlebnisse richten. Gleichzeitig darf er nicht unter Druck gesetzt werden, indem zu viel von ihm gefordert wird oder der Angehörige auf seine eigenen Bedürfnisse aufmerksam macht.

Suizidalität und abrupte Stimmungsumschwünge

Bipolar Erkrankte sind in besonderem Maße suizidgefährdet. Gerade in einer manischen (Umschwungs-)Phase können Patienten die Energie aktivieren, um eine Selbsttötung zu planen und umzusetzen.5

 

Äußert der Erkrankte von sich aus Selbstmordgedanken, sollten Angehörige und Freunde diese immer ernst nehmen!

Im Umgang mit suizidgefährdeten Menschen empfehlen sich für das nahe Umfeld zudem folgende Herangehensweisen:

  • Sich bewusst machen, dass man als Angehöriger, Freund oder Partner nicht für die Situation verantwortlich oder schuldig ist
  • Den Betroffenen nicht alleine lassen, ruhig bleiben
  • Ein Gespräch anbieten, dieses am Laufen halten, aufmerksam zuhören und genauer nachfragen
  • Sich Zeit nehmen, Zuwendung und Anteilnahme vermitteln; nicht bagatellisieren, abwerten oder moralisieren
  • Ehrlich sein, keine falschen Versprechungen machen, sich nicht selbst überfordern
  • Vermitteln, dass es Hilfe gibt und wie wichtig professioneller Beistand ist
  • Den Erkrankten dazu animieren, mit dem behandelnden Therapeuten über die Suizidgedanken zu sprechen und darüber, was dies für die weitere Therapie bedeutet
  • Gemeinsam den Arzt oder Therapeuten aufsuchen
  • Gegebenenfalls selbst den Therapeuten kontaktieren, wenn der Betroffene sich weigert, weitere Hilfe in Anspruch zu nehmen
  • Bei akuter Selbst- und Fremdgefährdung kann eine Einweisung ins Krankenhaus gegen den Willen des Betroffenen notwendig sein (die sogenannte Zwangseinweisung)
  • Der Rettungsdienst ist nicht befugt, Patienten gegen ihren Willen zu transportieren. Suizidgefährdete Patienten, die eine stationäre Aufnahme verweigern, müssen somit in Begleitung der Polizei in eine Klinik gebracht werden. Nahe Angehörige sollten daher den Betroffenen möglichst selbst in das zuständige psychiatrische Krankenhaus bringe

 

Weiterführende Artikel im neuraxWiki

Bipolare Störungen

Therapieoptionen bei Bipolaren Störungen

Verhalten in Krisensituationen bei Depression

Krisenplan für Notfälle

 
 
 
 
 
 

 

 


1www.dgbs.de/de/bipolare-stoerung/verlauf/

2„Achterbahn der Gefühle. Mit Manie und Depression leben lernen“. Thomas Bock. Balance Ratgeber, 4. Auflage 2018; S.112.

3www.gesundheitswerkstatt.de/gesundheitstipp/bipolare.stoerungen/umgang.mit.der.manischen.phase.html

4www.psychosoziale-gesundheit.net/pdf/manie-internet.pdf

5„Bipolar – mit extremen Emotionen leben. Wege zur Hilfe und Selbsthilfe bei manisch-depressiver Erkrankung“. Dr. med. Eberhard J. Wormer. Humboldt 2018; S. 27f.

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