Zuletzt aktualisiert am 20. Dezember 2021
Substitutionstherapie bei Opioidabhängigkeit
Die substitutionsgestützte Behandlung ist eine wissenschaftlich gut evaluierte Therapieform und für die Mehrheit der Patienten die Therapie der 1. Wahl. Anstelle von Heroin wird ein medikamentöser Drogenersatzstoff eingenommen. Der Betroffene bleibt weiter opiatabhängig, ist aber nicht mehr heroinsüchtig. Die „kontrollierte Abhängigkeit“ steht im Vordergrund.
Durch die agonistische (identische) Wirkung der Substitutionspräparate auf die Opioid-Rezeptoren fühlt sich der Patient körperlich besser, da die Entzugsbeschwerden und das Heroin-Verlangen unterdrückt werden. Ein „Kick“ bzw. Drogen-„High“ wird dagegen nicht ausgelöst. In Deutschland befinden sich derzeit etwa 40 - 50 % der Opiatabhängigen in einem Substitutionsprogramm.1
Vorteile der Substitution
- Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustandes
- Verringerung des Infektionsrisikos mit HIV oder Hepatitis durch Wegfall der intravenösen Injektionen
- Sanfte, schrittweise Drogen-Entwöhnung ohne oder nur mit geringen Entzugserscheinungen
- Abstandgewinnung vom Drogenmilieu
- Entkriminalisierung
- Chance auf einen Neuanfang
- Möglichkeit der Wiedereingliederung in das Sozial- und Berufsleben
Voraussetzungen
Bei der Frage, ob eine Substitutionsbehandlung indiziert ist, muss stets der individuelle Nutzen einer Substitutionsbehandlung gegenüber den Gefahren eines unkontrollierten Drogenkonsums abgewogen werden. Insbesondere bei Jugendlichen und Heranwachsenden sowie bei erst kürzer abhängigen Patienten ist größte Sorgfalt bei der Indikationsstellung geboten und diese in der Behandlungsdokumentation zu begründen. Zudem sollte eine engmaschige psychosoziale Betreuung dieser Patientengruppe erfolgen.2
Dauer
Der Weg zu dauerhafter Abstinenz ist lang und auch im Rahmen einer Substitutionstherapie für viele Betroffene schwer zu erreichen. Aus diesem Grund sind die meisten Drogenersatzprogramme auf unbefristete Zeit angelegt.
Therapieplatzsuche
Folgende Institutionen können bei der Suche nach freien Behandlungsplätzen behilflich sein:
- Drogenhilfeeinrichtungen
- Clearingstellen
- Niedergelassene substitutionserfahrene Ärzte oder Apotheker
- Suchtkliniken und -ambulanzen
Substitution ist immer nur ein Therapiebaustein im Gesamtbehandlungsplan. Begleitende substanzbezogene Störungen und somatische Erkrankungen müssen stets mit therapiert werden. Bei Bedarf sollten zudem begleitende psychosoziale, psychiatrische und psychotherapeutische Maßnahmen durchgeführt werden.
Substanzen zur Substitution
Zugelassene Substitutionsmittel sind ärztlich verschriebene Betäubungsmittel. Am häufigsten werden die nach § 5 Abs. 6 Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (teil-)synthetisch hergestellten Opioide Methadon, Levomethadon und Buprenorphin verschrieben. Der substituierende Arzt entscheidet über die Auswahl des Substitutionsmittels und dessen Dosierung bei jedem Patienten individuell.
Methadon
Methadon ist ein synthetisch hergestelltes Opioid und mit 40,9 % das meist verschriebene Substitutionsmittel.3 Das seit 1960 eingesetzte Arzneimittel lindert Entzugserscheinungen bei Opiatabhängigen und hat eine weniger euphorisierende Wirkung als andere Opioide. Methadon wird im Rahmen eines integrierten Behandlungskonzeptes mit medizinischer, sozialer und psychologischer Versorgung eingesetzt. Die Einnahme erfolgt in der Regel täglich oral unter ärztlicher Aufsicht. Bei längerer Behandlung kann Methadon zu einer physischen und psychischen Abhängigkeit führen. Wird es abrupt abgesetzt, sind daher schwere Entzugserscheinungen zu erwarten.
Levomethadon
Levomethadon lindert starke Schmerzen und unterstützt Opiatabhängige während ihrer Substitutionstherapie. Das synthetisch hergestellte Substitutionsmittel gehört zur Gruppe der Opioide und wird ebenfalls seit den 1960er Jahren verabreicht. Seit 10 Jahren steigt der Anteil der Patienten, die mit Levomethadon substituiert werden, kontinuierlich an. Inzwischen liegt er bei 34 %.4 Die Behandlung mit Levomethadon erfolgt unter intensiver medizinischer, sozialer und psychologischer Überwachung. Levomethadon kann genauso wie Methadon zu einer Abhängigkeit führen. Eine Langzeitbehandlung muss schrittweise beendet werden, da ein jäher Abbruch zu schwerwiegenden Entzugserscheinungen führen kann.
Buprenorphin
Buprenorphin ist ein Mittel, dass zur Behandlung von stark ausgeprägten Schmerzen und zur Therapie bei Opiatabhängigkeit verwendet wird. Das teilsynthetisch hergestellte Opioid wird seit Mitte der 1990er Jahre in der Substitutionstherapie via Spritze, Tablette oder Pflaster verabreicht. Durch die Einnahme von Buprenorphin können bei Patienten mit einer Opiatabhängigkeit Entzugserscheinungen gelindert werden. Im Vergleich zu Methadon hat dieses Medikament keine stark ausgeprägte sedierende Wirkung. Seit 3 Jahren liegt die Verschreibung von Buprenorphin kontinuierlich bei ca. 23 %.5
Morphinsulfat retard
Morphinsulfat ist retardiertes Morphium (lat. „retardare“ verzögern, hier: mit verzögerter Wirkstoff-Freisetzung) und in Deutschland seit 2015 zur oralen Substitutionsbehandlung zugelassen. Die Substanz ist in der Substitution aber wenig gebräuchlich. Der Anteil der damit subsituierten Patienten liegt aktuell bei unter 1%.6
Dihydrocodein
Dihydrocodein ist ein stark wirksames Schmerzmittel und wird auch in der Therapie von Reizhusten eingesetzt. Das teilsynthetisch hergestellte Arzneimittel ist seit 2001 nur in begründeten Ausnahmefällen in der Substitutionstherapie oral anwendbar. Der Nachteil liegt im Vergleich zu Levomethadon und Methadon in der kurzen Wirkungsdauer, die es für die Substitutionstherapie in der Regel untauglich macht.7
Diacetylmorphin
Diacetylmorphin, auch bekannt als Heroin, ist ein halbsynthetisches analgetisches Opioid, welches ein sehr hohes Abhängigkeitspotential besitzt. Ende des 19. Jahrhunderts wurde Heroin als Hustenmittel und Schmerzmittel verschrieben und erst Mitte des 20. Jahrhunderts verboten. Wenn bei schwerster Heroinabhängigkeit eine reguläre Substitutionstherapie nicht mehr hilft, kann in Deutschland seit 2009 unter strengen Auflagen künstlich hergestelltes Heroin unter ärztlicher Überwachung verabreicht werden.
Weiterführende Artikel im neuraxWiki
Fahrtauglichkeit bei Opioidabhängigkeit
Schwangerschaft bei Opioidabhängigkeit
Suchthilfe und Selbsthilfe bei Opioidabhängigkeit
Hilfreiche und psychosoziale Tipps für Angehörige von Opioidabhängigen
1„Praxisbuch Sucht. Therapie der Suchterkrankungen im Jugend- und Erwachsenenalter“. Thieme Verlag. 2. üb. Auflage 2016, Seite 167
2„Richtlinie der Bundesärztekammer zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung Opioidabhängiger“. Richtlinien-Text Seite 7, Stand: 27.04.2017
3-6Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, Bericht zum Substitutionsregister Januar 2018. Bundesopiumstelle / 84.1 / 22.01.2018, Seite 4
7Vgl. https://www.aerzteblatt.de/archiv/5061/Substitution-von-Opiatabhaengigen-mit-Codein-und-Dihydrocodein; abgerufen am 03.04.2018