Zuletzt aktualisiert am 20. Dezember 2021

Therapiemöglichkeiten bei Autismus

Die Diagnose Autismus-Spektrum-Störung bedeutet nicht perse, dass therapeutische Maßnahmen erfolgen müssen. Jedoch können viele Betroffene mithilfe verschiedener Therapiemöglichkeiten unterstützt werden. Dazu zählen insbesondere Verfahren,
die kognitive und sprachliche Fähigkeiten bessern sowie die soziale Interaktion und Kommunikation fördern.

Einer therapeutischen Intervention geht eine umfassende Diagnostik voraus. Zu Beginn werden Therapieziele festgelegt, die im weiteren Verlauf gemeinsam mit dem Betroffenen regelmäßig evaluiert werden. Als übergeordnetes Ziel gilt die Steigerung der Lebensqualität und Teilhabemöglichkeiten von Menschen mit ASS und ihren Familien. Darüber hinaus sollen wesentliche Symptome in Bezug auf die soziale Interaktion und Kommunikation sowie einschränkende, repetitive Verhaltensweisen, Interessen und Aktivitäten verbessert werden. Wenn der Betroffene zudem an Begleiterkrankungen leidet, sollen auch diese behandelt werden.1

Autismus-Therapie

Da jede ASS sich anders manifestiert, brauchen Betroffene ein flexibles, möglichst breites Angebot, das sie optimal fördert. Eine individuelle Unterstützung erhalten Kinder, Jugendliche
und Erwachsene durch Autismus-Therapien. Die Behandlungsform wird in Autismus-Therapie-Zentren (ATZ) durchgeführt. ATZ sind spezialisierte Einrichtungen zur ambulanten Betreuung,
Befähigung und Begleitung von Betroffenen und ihres familiären Umfelds. Durch eine ASS, die oft mit zusätzlichen Beeinträchtigungen (z. B. weiteren Entwicklungs- oder Verhaltensstörungen)
einhergeht, ist für viele Betroffene die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben stark beeinträchtigt. Daher zielt eine Autismus-Therapie vordergründig auf die Verbesserung der sozialen
Inklusion ab.2

Zu den komplexen Maßnahmen zählen u. a.:

  • Beratung und Information zur Erkrankung
  • Verhaltenstherapie
  • Klientenzentrierte Spieltherapie
  • Heilpädagogische Verfahren
  • Kommunikations- und Sozialtraining
  • Musik-/Kunst-/Bewegungstherapie
  • Motopädagogische Förderung
  • Gruppentherapie
  • Elterntrainings
  • Kooperation mit anderen Einrichtungen der Fremdbetreuung wie Kindertagesstätten oder Schulen

ATZ begleiten Betroffene aller Altersklassen. Aktuell sind bundesweit etwa 140 Einrichtungen gelistet.3 Die Wirksamkeit autismusspezifischer Therapien konnte in wissenschaftlichen
Studien nachgewiesen werden.

Kostenträger

Autismus-Therapien in spezialisierten Autismus-Therapie-Zentren werden als Leistung der Eingliederungshilfe entweder von Trägern der Eingliederungshilfe nach dem Rehabilitationsund
Teilhaberecht (SGB IX) oder von Trägern der Jugendhilfe nach dem Kinder- und  Jugendhilfegesetz (SGB VIII) finanziert.

Wichtig

Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten Menschen mit Behinderung. Bei einer ASS kann die Abgrenzung Krankheit/Behinderung schwierig sein. Eine Autismus-Spektrum-Diagnose, insbesondere die Störung der sozialen Interaktion, ist häufig mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen der Teilhabe an der Gesellschaft verbunden. Autistische Störungen stellen daher in ihren Auswirkungen regelmäßig eine Behinderung (i. S. d. § 2 SGB IX) dar.

Menschen mit ASS und einer festgestellten Behinderung können verschiedene Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten, die dann im Rahmen der Autismus-Therapie umgesetzt werden
können.

Im Gesetz verankert sind folgende Leistungen:4

Vorschulalter

  • Leistungen zur sozialen Teilhabe wie
    • Heilpädagogische Leistungen
    • Leistungen zum Erhalt und Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten
    • Leistungen zur Förderung der Verständigung
  • Leistungen zur Teilhabe an Bildung wie
    • Vorbereitende Hilfen zur Schulbildung

Schulalter

  • Leistungen zur sozialen Teilhabe wie
    • Heilpädagogische Leistungen
  • Leistungen zur Teilhabe an Bildung wie
    • Hilfen zur Schulbildung
    • Hilfen zur schulischen oder hochschulischen Ausbildung oder Weiterbildung für einen Beruf

Erwachsenenalter

  • Leistungen zur sozialen Teilhabe wie
    • Leistungen zum Erhalt und Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten
    • Leistungen zur Förderung der Verständigung
  • Hilfen zur Teilhabe am Arbeitsleben

Behandlungsumfang

Damit Autismus-Therapien ihre Wirkung zeigen, werden, neben dem Betroffenen selbst, auch Familie, Kita, Schule, Wohngruppe oder Arbeitsplatz sowie weitere Hilfesysteme (Fachärzte,
Inklusionsassistenzen etc.) miteinbezogen. Die Maßnahmen werden in der Regel langfristig über mehrere Jahre angelegt. Der wöchentliche Stundenumfang zur Therapie, (Eltern-) Beratung und Netzwerkarbeit beträgt dabei etwa 2–4 Stunden.5

Psychoedukation

Grundlage jeder Therapie ist die Aufklärung und Beratung der Betroffenen und ihrer Angehörigen, die sogenannte Psychoedukation. Psychoedukationskurse finden als Einzel- oder Gruppenkurse unter fachtherapeutischer Leitung statt. Sie informieren über die Störung und fördern das Verständnis und den selbstverantwortlichen Umgang mit einer ASS. Es gibt zudem die Möglichkeit, zum Erfahrungsaustausch und zur Kontaktaufnahme mit Selbsthilfegruppen.2

Bei Kindern und Jugendlichen spielt die Einbindung der Familie in die Therapie eine besonders wichtige Rolle. Durch Maßnahmen wie der Analyse konkreter Problemsituationen, der Verminderung negativer Erfahrungen in der Eltern-Kind-Beziehung sowie der Beeinflussung der Verhaltensprobleme durch positive/negative Konsequenzen, soll ein besserer Umgang mit der Störung entwickelt werden.

Hinweis: Eine kontinuierliche Betreuung und Beratung der Familien und des übrigen sozialen Umfelds (z. B. Erzieher/Lehrer) ist sinnvoll, um den Umgang mit der Störung bei allen Beteiligten positiv zu beeinflussen.
 

Psychotherapie

Menschen mit Autismus haben bei Vorliegen der jeweiligen Anspruchsvoraussetzungen
ein Recht sowohl auf Autismus-Therapie als auch auf Psychotherapie. Psychotherapeutische
Verfahren werden als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung genehmigt, wenn eine seelische Krankheit vorliegt. Bei einer ASS können dazu Begleitstörungen bzw. sekundäre
Symptome wie Depressionen, Angststörungen, Essstörungen, aggressives Verhalten, Tics oder Zwänge zählen. Werden diese behandelt, verbessert sich damit auch die Lebenssituation des
Patienten insgesamt.

Gemäß der Psychotherapie-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses werden die Kosten für analytische Psychotherapien, Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapien sowie Verhaltenstherapien übernommen.

Die Leistung wird von der Krankenversicherung nicht übernommen, wenn sie nicht auf die Heilung oder Besserung der seelischen Krankheit, sondern allein auf die soziale Teilhabe abzielt.6

Kostenübernahme

Für Menschen mit ASS ist bislang keine Psychotherapie vorgesehen, die von den Krankenkassen übernommen werden würde. Daher ist die gesetzliche Krankenversicherung nicht verpflichtet, die Kosten einer Therapie zu tragen.

Stattdessen werden spezifische Interventionen in Autismus-Therapiezentren durch die Träger der Eingliederungshilfe oder Kinder- und Jugendhilfe finanziert (s. o.). Lediglich die Behandlung
möglicher Begleitstörungen wie Depressionen oder Angststörungen kann über die  Krankenkasse abgerechnet werden. In diesem Fall sollte eine Kostenübernahme im Vorfeld mit
der zuständigen Krankenversicherung abgeklärt werden.

 

 

Ergotherapie

Einigen Kindern und Jugendlichen mit ASS kann eine Ergotherapie helfen. Ziel der Therapie ist es, Kommunikation, Wahrnehmung und Sozialverhalten zu fördern. Es gibt Verfahren, wie zum Beispiel TEACCH (die Arbeit mit visuellen Strukturierungsanweisungen und Gliederungshilfen), die speziell für autistische Menschen entwickelt wurden, um ihre Wahrnehmung und soziale Empathie zu fördern. In speziellen Rollenspielen üben die Kinder den sozialen Umgang mit Gleichaltrigen. Oftmals beziehen die Therapeuten die Eltern mit ein. Gemeinsam vereinbaren sie eine konkrete Problem- und Zielanalyse, die individuell auf das Kind zugeschnitten sein sollte.

Wann erhalten Betroffene Ergotherapie?

Eine Ergotherapie gilt als Heilmittel und muss vom behandelnden Arzt verordnet werden. Eine Verordnung umfasst in der Regel 10 Behandlungseinheiten. Eine Therapiemaßnahme dauert üblicherweise zwischen 30 und 60 Minuten. In welchem Abstand die Maßnahmen erfolgen, hängt von der individuellen Situation des Betroffenen ab.
 

Kostenübernahme

Die Kosten für eine Ergotherapie übernimmt in der Regel die gesetzliche Krankenkasse. Ab Vollendung des 18. Lebensjahres muss der Patient eine Zuzahlung von 10 % an den Leistungserbringer leisten, plus 10 € pro Verordnung, jedoch nicht mehr als die tatsächlich entstehenden Kosten. Unter bestimmten Voraussetzungen ist eine Befreiung von der Zuzahlung möglich.

Hinweis: Auf der Internetseite des Gemeinsamen Bundesausschusses können Interessierte die gesetzlichen Richtlinien in Bezug auf Ergotherapie als Heilmittel nachlesen: www.g-ba.de/informationen/richtlinien/12/

Logopädie

Bei vielen Menschen mit einer ASS sind Sprachentwicklung und Sprachverständnis beeinträchtigt. Manche sprechen überhaupt nicht oder können nur rudimentär mit anderen kommunizieren. Sie verwenden nur kurze Sätze, echolalieren (ständiges Wiederholen des Gesagten) oder artikulieren sich in stereotypen, häufig auswendig gelernten Floskeln. Oftmals ist der Wortschatz stark reduziert und beim Sprechen kommt es zu grammatikalischen Auffälligkeiten.4 In solchen Fällen können logopädische Therapien helfen, die Sprachprobleme zu reduzieren. Darunter fallen z. B. folgende Maßnahmen:

  • Generelle Sprachanbahnung
  • Auf- und Ausbau von kommunikativen Fähigkeiten, z. B. Herstellung von Blickkontakt, Wahrnehmung des Gegenübers, Äußerung von eigenen Wünschen und Bedürfnissen
  • Wortschatzausbau und Förderung des Sprachverständnisses
  • Begleitende Elterncoachings

Manche Logopädie-Anbieter arbeiten mit Autismus-spezifischen Ansätzen wie z. B. dem Komm! Ass-Therapiekonzept.

 

Verordnungsfähigkeit und Kostenübernahme

Logopädie zählt wie die Ergotherapie zu den anerkannten Heilmitteln. Demnach gelten die für die Ergotherapie genannten Regeln auch für Logopädie.

Tiergestützte Therapie

Erfahrungswerte zeigen, dass sich eine die Autismus-Therapie ergänzende tiergestützte Therapie, positiv auf das Leben von Menschen mit ASS auswirken kann. So konnten häufig gute Erfolge erreicht werden.7 Der tierische „Co-Therapeut“ ist unvoreingenommen,
authentisch, empathisch und hat keine Erwartungen an den Patienten, wodurch dieser sich oftmals leichter öffnen kann.

Therapietiere

In der Praxis kommen verschiedene Tierarten wie Hunde, Esel, Alpakas oder Pferde zum Einsatz. Die therapeutische Arbeit mit Pferden, die sogenannte Hippotherapie, ist dabei in Deutschland die bekannteste und bestuntersuchte tiergestützte Therapie, gefolgt von der Therapie mit Hunden.

Anbieter

Die Bezeichnung „tiergestützte Therapie“ ist nicht geschützt. Daher sollten Betroffene bei der Suche nach einem geeigneten Therapeuten bzw. einer Einrichtung auf die Qualifikation des Anbieters achten. Dieser sollte eine medizinische, pflegerische, heilmedizinische oder pädagogische Ausbildung sowie eine Zusatzqualifikation zur Fachkraft für tiergestützte Therapie und Pädagogik haben. Ferner sollte die Ausbildung der Tiere nur mit tiergerechten Methoden erfolgen und es sollten die Vorgaben des Tierschutzgesetzes, die Bedürfnisse sowie die physische und psychische Belastbarkeit der Tiere berücksichtigt werden.

 

Kostenbeteiligung bzw. -übernahme

Trotz vieler positiver Erfahrungsberichte werden die Kosten in der Regel nicht von den Leistungsträgern übernommen. In Einzelfällen ist jedoch eine Kostenbeteiligung über die Pflegekasse (Verhinderungspflege, Entlastungsbetrag für ein niedrigschwelliges Betreuungsangebot), das Jugendamt (Hilfe zur Erziehung) oder den Sozialhilfeträger (Leistungen zur Eingliederungshilfe) möglich.
 

Wichtig

Haben Betroffene eine Verordnung zur Physio-, Psycho- oder Ergotherapie und arbeitet der jeweilige Therapeut mit einem Tier als Co-Therapeut, kann dieser, sofern er eine Sondergenehmigung der Krankenkassen hat, einen erhöhten Kostensatz abrechnen.

Autismushunde

Autismushunde sind speziell ausgebildete Tiere, die Menschen mit ASS in ihrem Alltag begleiten. Sie sind nicht zu verwechseln mit Hunden, die in der tiergestützten Therapie eingesetzt werden. Während Hunde im Rahmen der tiergestützten Therapie die Motorik, sprachlichen Fähigkeiten, Stressabbau und Kontaktaufnahme der Betroffenen fördern, sind Autismushunde ausgebildete Assistenzhunde, die einem einzigen Autisten durch verschiedene erlernte Aufgaben helfen.

Der Autismushund übernimmt gleichzeitig die Aufgabe eines Therapiehundes und die eines Assistenzhundes. Er hilft zum einen die Motorik und das Vokabular zu verbessern, Bindung
zuzulassen und Kontakte zu fördern. Zum anderen übernimmt er aktiv Aufgaben, um die Sicherheit seines Besitzers zu gewährleisten.

Medikamentöse Behandlung

Die Kernsymptome einer ASS lassen sich mit Medikamenten kaum beeinflussen. Allerdings kann bei Begleitsymptomen oder -erkrankungen eine medikamentöse Behandlung erforderlich sein. Sind Verhaltensauffälligkeiten wie Selbst- und Fremdaggression, Stereotypien und Wutanfälle auf andere Weise nicht ausreichend therapierbar, können sie für begrenzte Zeit (max. 6 Wochen) mit atypischen Neuroleptika behandelt werden. Bei depressiven Verstimmungen können Antidepressiva die Gefühlslage stabilisieren. ADHS-Medikamente können bei Symptomen wie Unaufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität helfen, die bei ca. 20-45% der Patienten beobachtet werden. Weitere ggf. vorliegende Begleiterkrankungen wie Epilepsie sollten mit den jeweils dafür vorgesehenen Präparaten (z. B. Antiepileptika) therapiert werden.

 

 


1 „Autismus-Spektrum-Störungen im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter. Teil 2: Therapie. S3-Leitlinie“. Freitag, C. M., 2021, S. 1 ff. Abgerufen unter www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/028-047.html

2 „Positionspapier zur ‚Autismus-Therapie“. Autismus Deutschland e. V., 2020. Abgerufen unter www.autismus.de/fileadmin/RECHT_UND_GESELLSCHAFT/Positionspapier_Autismus-Therapie_Stand02.01.2020.pdf

3 „Regionalverbände und Mitgliedsorganisationen“. Autismus Deutschland e. V., 2021
Abgerufen unter www.autismus.de/ueber-uns/struktur-des-bundesverbandes/regionalverbaende-und-mitgliedsorganisationen.html

4 Alle genannten Leistungen sind im Leistungskatalog des SGB IX verankert. Kinder, Jugendliche und junge Volljährige mit (nur) seelischen Behinderungen erhalten jedoch Leistungen nach dem Kinder- und Jugendhilferecht (§ 35a Abs. 3 i.V.m. § 41 SGB VIII).

5+6„Positionspapier zur ‚Autismus-Therapie“. autismus Deutschland e. V., 2020. Abgerufen unter: www.autismus.de/fileadmin/RECHT_UND_GESELLSCHAFT/Positionspapier_Autismus-Therapie_Stand02.01.2020.pdf

7 „Tiere in der Autismus-Therapie“. Tschochner, B. Abrufbar unter: www.tiergestuetzte-therapie.de/pages/texte/wissenschaft/tschochner/tschochner_autismus.html


 

 

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