Zuletzt aktualisiert am 20. Dezember 2021
Therapieoptionen bei Bipolaren Störungen
Bei bipolaren Störungen stehen zahlreiche medikamentöse und nicht-medikamentöse Therapieoptionen zur Verfügung. Die Behandlung ist, abhängig von den Bedürfnissen des Patienten und dessen Erkrankungsbild, in der Regel sowohl stationär als auch ambulant möglich.
Wichtigste Behandlungsziele sind die Linderung von Symptomen, die seelische Stabilisierung, die soziale und berufliche Rehabilitation sowie die Sicherung bestmöglicher Gesundheit und Lebensqualität. Idealerweise verständigen sich der Patient, sein Behandler und Angehörige gemeinsam über die medikamentöse Therapie und ergänzende Bausteine wie zum Beispiel Psychotherapie.1
Grundsätzlich werden 3 Therapiephasen unterschieden:
Akuttherapie
Mit Hilfe der Akutbehandlung soll der Patient aus seiner momentanen Krankheitsepisode herausgeholt, der akute Leidensdruck reduziert und ggf. seine Krankheitseinsicht (wieder)hergestellt werden. Hierbei werden Medikamente, begleitende psychotherapeutische Gespräche, psychoedukativen Verfahren und u. U. Wach- und Elektrokrampfherapie eingesetzt.2
Bei der Wahl der Akuttherapie muss bereits die ggf. später erforderliche Phasenprophylaxe mit berücksichtigt werden.3
Erhaltungstherapie
Mit der Erhaltungstherapie sollen ausgeprägte manische oder depressive Episoden verhindert werden. Ziel ist es, die Beschwerdefreiheit des Betroffenen zu festigen. Neben medikamentöser Therapie kommen auch psychotherapeutische und psychoedukative Methoden zum Einsatz. Für eine erfolgreiche Erhaltungstherapie ist die Therapietreue (Adhärenz) des Patienten von entscheidender Bedeutung, da der subjektive Leidensdruck der Patienten in dieser Phase oft gering ist.
Rückfallprophylaxe
Durch gezielte Rückfallprophylaxe sollen mit der Erkrankung einhergehende psychosoziale Beeinträchtigungen vermieden werden. Dabei steht die berufliche und soziale Reintegration im Fokus. Um Rückfälle möglichst zu vermeiden, sollten die Betroffenen lernen, ihr eigenes Verhalten, Denken und Fühlen besser zu beobachten und bei Veränderungen in Richtung (hypo-)manischer oder depressiver Zustände angemessen und flexibel zu reagieren. Zu diesem Zweck werden u. a. Gruppenpsychoedukation und kognitive Verhaltenstherapie angeboten.
Grundsätzlich gilt: Je weniger Krankheitsepisoden bis zur Einleitung der Therapie durchlebt wurden, desto besser spricht der Patient auf die Behandlung an.
Medikamentöse Therapie
Bei der Behandlung bipolarer Störungen kommen vornehmlich Antidepressiva, Stimmungsstabilisierer sowie atypische Neuroleptika zum Einsatz. Je nach Episode und individueller Ausprägung der Erkrankung werden unterschiedliche Substanzen bzw. Substanzklassen angewandt.
Antidepressiva
Hierzu zählt eine sehr große Gruppe unterschiedlicher Wirkstoffe. Antidepressiva greifen in den Gehirnstoffwechsel ein und bringen den gestörten Neurotransmitterhaushalt (insbesondere Serotonin und Noradrenalin) wieder ins Gleichgewicht. Die gewünschte stimmungsaufhellende Wirkung stellt sich in der Regel nach zwei bis drei Wochen ein.
Stimmungsstabilisierer
Hierbei handelt es sich um Substanzen, die sowohl antidepressive als auch antimanische Eigenschaften haben und so – wie der Name schon sagt – helfen, den Gemütszustand des Patienten zu stabilisieren. Zum Einsatz kommen insbesondere Lithium und Antiepileptika wie Carbamazepin, Valproinsäure und Lamotrigin.4 Häufig bleiben die Patienten ein Leben lang darauf angewiesen.
Atypische Neuroleptika
Hierbei handelt es sich um eine Gruppe von Substanzen, die auch für die Behandlung psychotischer (in der Regel schizophrener) Erkrankungen verwendet werden. Ähnlich wie Antidepressiva beeinflussen auch atypische Neuroleptika den Stoffwechsel körpereigener Botenstoffe im Gehirn. Im Vordergrund steht dabei meist eine Verringerung von Dopamin-Effekten. Im Bereich bipolarer Erkrankungen werden atypische Neuroleptika hauptsächlich zur Therapie manischer und depressiver Episoden eingesetzt, aber auch zur Stimmungsstabilisierung und im Rahmen der Phasenprophylaxe. Zum Einsatz kommen v. a. Amisulprid, Aripiprazol, Olanzapin, Sertindol, Quetiapin, Risperidon und Ziprasidon.
Aufgrund der Vielzahl der zur Verfügung stehenden Wirkstoffe und der sich teilweise überlappenden Anwendungsbereiche kann es einige Zeit dauern bis eine optimale individuelle Therapie gefunden ist, zumal nicht jeder Patient auf die verschiedenen Wirkstoffe in gleicher Weise reagiert.
Hinweis: Eine ausführliche Darstellung und Beurteilung der diversen pharmakologischen Therapieoptionen liefert die S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie Bipolarer Störungen. (Stand: 01.03.2019 , gültig bis 01.03.2023)
Nicht-medikamentöse somatische Therapie
Zur ergänzenden Behandlung von bipolaren Störungen kommen vor allem folgende Verfahren zum Einsatz:
Lichttherapie (Phototherapie)
Bei der Lichttherapie werden Patienten über mehrere Wochen, in der Regel morgens, einer Lichtquelle mit starker Lichtintensität (2.500 bis 10.000 Lux) ausgesetzt. Je nach Lichtstärke beträgt die Bestrahlungsdauer zwischen 30 und 120 Minuten. Die Wirksamkeit der Lichttherapie ist vor allem bei bipolaren Erkrankungen mit gehäuftem Auftreten depressiver Episoden in den Wintermonaten gut belegt. Aufgrund häufiger Rückfälle bei Unterbrechen der Lichttherapie und der guten Verträglichkeit wird die Behandlung oft auch während der gesamten Dunkelperiode durchgeführt. Es kann jedoch in manchen Fällen eine vorübergehende (hypo)manische Episode ausgelöst werden.5

Wachtherapie
Wachtherapie wird insbesondere in der Akutbehandlung depressiver Episoden angewandt. Vor allem Patienten, die unter starken Tagesschwankungen der Stimmung mit Morgentief neigen, sprechen auf Wachtherapie gut an. Nach einer durchwachten Nacht gilt es generell, tagsüber das kurze Einnicken oder längeren Tagesschlaf zu vermeiden, da hierdurch die therapeutische Wirkung aufgehoben werden kann.
Hinweis: Bei Erkrankten mit Anfallsleiden, bei Vorliegen einer gemischten Episode oder Suizidalität ist Wachtherapie kontraindiziert.6
Elektrokonvulsionstherapie / Elektrokrampftherapie (EKT)
Bei der Elektrokonvulsionstherapie werden durch elektrische Stimulation gezielt generalisierte Krampfanfälle im Gehirn ausgelöst. Sie ist vor allem bei Patienten mit schweren (wahnhaften) depressiven Episoden, die nur unzureichend auf die medikamentösen Behandlungsoptionen ansprechen, empfehlenswert.
Eine Behandlungsserie umfasst dabei meist 6 - 12 Behandlungen. Die Therapie erfolgt unter Vollnarkose und ist ausschließlich in spezialisierten Zentren unter Einhaltung strenger Sicherheitsstandards möglich.7
Da alle Methoden auch Nebenwirkungen haben können, sollte deren Einsatz stets ausführlich besprochen und abgewogen werden.
Psychotherapie
Psychotherapeutische Verfahren stellen neben der medikamentösen Therapie einen wichtigen Baustein bei der Behandlung bipolarer Störungen dar. Die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland bewilligen verschiedene psychotherapeutische Verfahren. Deren Wirksamkeit für die Rückfallprophylaxe konnte in klinischen Studien gezeigt werden. Es gibt derzeit allerdings keine klinischen Studien, die die Wirksamkeit psychotherapeutischer Verfahren für die Behandlung bipolarer Episoden systematisch untersucht haben.
Psychoedukation
Psychoedukation dient in erster Linie der Information und Aufklärung der Betroffenen und ihrer Angehörigen über die Erkrankung, deren Ursachen, Verlauf und Behandlungsmöglichkeiten. Psychoedukationskurse finden als Einzel- oder Gruppenkurse unter fachtherapeutischer Leitung statt.

Typische Maßnahmen und Inhalte sind:8
- Informationen zur Erkrankung, deren Symptomatik, Verlauf und möglichen Ursachen
- Bedeutung der zuverlässigen Einnahme von Medikamenten
- Erfahrungsaustausch und persönliches Erleben
- Anleitung zur kritischen Selbstbeobachtung, um den Zusammenhang zwischen Stimmungsschwankungen und eigenem Verhalten, Therapie-Compliance und sozialem Leben zu erkennen
- Förderung einer positiven Alltagsstruktur und Reduktion von Belastungen
- Erkennen von Frühsymptomen und Warnzeichen sowie die Sammlung persönlicher Strategien, um bei Krisen und Frühsymptomen frühzeitig gegensteuern zu können (Krisenplanerstellung)
Betroffene können sich über Psychoedukationskurse bei ihrem Arzt, Therapeuten oder bei Selbsthilfegruppen informieren. Viele Krankenkassen übernehmen auch die Kosten. Es lohnt sich daher, beim Versicherer nachzufragen.
Soziotherapie
Soziotherapie ist eine fachspezifische ambulante Betreuung von schwer chronisch psychisch kranken Patienten, die aufgrund ihrer Erkrankung nicht in der Lage sind, ärztliche und ärztlich verordnete Leistungen eigenständig in Anspruch zu nehmen. Sie soll Betroffene dazu befähigen, ihren Alltag wieder zu meistern und Selbstverantwortung zu übernehmen.
Voraussetzungen
Für Menschen, die an schweren psychischen Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis oder Störungen des Affekts (z. B. gegenwärtig schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen im Rahmen einer bipolaren Störung) leiden, kann diese Therapieform beantragt werden.9
Weitere Informationen über die Voraussetzung, Inhalte, Verordnung und Erstattung von Soziotherapie gibt es im neuraxWiki Artikel Soziotherapie.
Ergotherapie
Bei bipolaren Störungen kann zur ergänzenden Behandlung Ergotherapie durchgeführt werden. Ergotherapie umfasst verschiedene Verfahren, um manifeste oder drohende Einschränkungen der Handlungsfähigkeit im Alltag zu vermindern bzw. zu verhindern. Sie zielt dabei sowohl auf psychische, motorische als auch sensorische Funktionseinschränkungen.
Ziele
Die Ergotherapie ist zunächst darauf ausgelegt, verlorene körperliche und geistige Kompetenzen wiederzuerlangen. Ist dies nicht möglich, sollen alternative Handlungsweisen erlernt werden, welche die Selbstständigkeit im Alltag und im Beruf ermöglichen und Defizite ausgleichen.
Ziel ist es, die maximale Lebensqualität und Selbstständigkeit in allen Bereichen der persönlichen, häuslichen und beruflichen Lebensführung zu sichern und die gesellschaftliche Teilhabe des Erkrankten zu ermöglichen.
Inhalte und Therapiemethoden
Die Durchführung der Therapie erfolgt je nach Belastbarkeit und individuellen Einschränkungen in Einzel- oder Gruppensitzungen. Zu Beginn der Behandlung erstellen der Ergotherapeut und der Patient zusammen einen Behandlungsplan. In diesem legen sie genau die Maßnahmen und Ziele der Behandlung fest.
Abhängig vom Krankheitsbild können verschiedene Einzelmaßnahmen kombiniert werden.
Solche Einzelmaßnahmen sind bei einer bipolaren Störung beispielsweise:
- Trainieren des Alltags und der selbstständigen Versorgung: Haushaltsführung, Einkaufen, Umgang mit Geld, Telefonieren, Zeiteinteilung, Medikamenteneinnahme
- Anleitung zur Tagesstrukturierung
- Psychische Stabilisierung und Hilfestellung bei seelischen Problemen
- Vermittlung von Entspannungstechniken
- Training kommunikativer und sozialer Fähigkeiten
- Beratung und Anleitung von Angehörigen im Umgang mit dem Betroffenen
- Schulung der Aufmerksamkeit und Konzentration
Weitere unterstützende Therapieverfahren
Als unterstützende Therapieverfahren bei bipolaren Störungen kommen z. B. Entspannungsverfahren, Sport- und Bewegungstherapie sowie Kunst- oder Musik-/Tanztherapie in Frage. Diese werden im stationären, teilstationären und ambulanten Bereich in der Regel als Bestandteile eines integrierten Konzepts angeboten.
Entspannungsverfahren
Um das sich z. T. permanent drehende Gedankenkarussell zum Stillstand zu bringen, eignen sich Entspannungsverfahren. Diese können insbesondere spezifische Symptome, wie z. B. Unruhe, Angst, Anspannung oder Schlafstörungen, reduzieren. Patienten sollten eine Methode wählen, die sie persönlich als angenehm und entspannend empfinden, wie zum Beispiel Progressive Muskelrelaxation (PMR) nach Jacobson, Yoga oder Meditation.
Sport- und Bewegungstherapie
Körperliche Aktivität kann bei Menschen mit bipolarer Erkrankung die Stimmung und das Energieniveau verbessern. So scheint Sport bzw. Bewegung durch Ablenkung von negativen Stimuli, Erfahrung von Selbstwirksamkeit sowie die häufig mit Sport assoziierte soziale Interaktion zu einer Stimmungsverbesserung zu führen. Bewegung kann daher eine therapeutische Behandlung sinnvoll ergänzen und möglicherweise sogar dem Ausbruch einer Krankheitsepisode vorbeugen.
Für Patienten mit bipolaren Störungen gibt es daher spezielle Angebote im Bereich Rehabilitationssport, mit denen sie gezielt ihre Bewegungsfähigkeit unter speziell ausgebildeter Übungsleitung nachhaltig verbessern können.
Weiterführende Artikel im neuraxWiki:
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (Berufliche Rehabilitation)
Spezialisierte Rehabilitationseinrichtungen (RPK)
Grad der Behinderung bei bipolaren Störungen
1"Bipolar – mit extremen Emotionen leben. Wege zur Hilfe und Selbsthilfe bei manisch-depressiver Erkrankung“. Dr. med. Eberhard J. Wormer. Humboldt, 2018; S. 50.
2„Bipolare Störungen - Eine Erkrankung mit zwei Gesichtern. Eine Informationsschrift der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen e.V. für Patienten und Angehörige“. 2011; S. 6.
3"S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie Bipolarer Störungen. Konsultationsversion“. DGBS e.V. und DGPPN e.V. Langversion 2.0, Update November 2018; S. 79.
4„S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie Bipolarer Störungen. Konsultationsversion“. DGBS e.V. und DGPPN
5Ebd. S. 97.
6S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie Bipolarer Störungen. Konsultationsversion“. DGBS e.V. und DGPPN e.V. Langversion 2.0, Update November 2018; S. 96f.
7Ebd. S. 92.
8„S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie Bipolarer Störungen. Konsultationsversion“. DGBS e.V. und DGPPN e.V. Langversion 2.0, Update November 2018; S. 87.
9„Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Durchführung von Soziotherapie in der vertragsärztlichen Versorgung“. Gemeinsamer Bundesausschuss in der Neufassung vom 22. Januar 2005; S. 4.