Zuletzt aktualisiert am 9. Februar 2023
Zuzahlungsbefreiung Krankenversicherung
(§ 62 SGB V)
Eine länger andauernde Erkrankung wirkt sich häufig auf die Einkommensituation des Betroffenen und seiner Familie aus. Zum einen können weniger Einnahmen zur Verfügung stehen, zum anderen muss der Patient oftmals einen erheblichen Anteil an Zuzahlungen leisten.
Um Überbelastungen zu vermeiden, gibt es gesetzliche Belastungsgrenzen. Chronisch erkrankte Menschen und Empfänger von Grundsicherungsleistungen werden dabei besonders berücksichtigt.
Versicherte können sich bei Erreichen einer individuellen Belastungsgrenze von weiteren Zuzahlungen befreien lassen. Relevant für die Ermittlung der jeweiligen Belastungsgrenze ist das jährliche Bruttoeinkommen. Das Einkommen von Ehepartnern und familienversicherten Angehörigen, die im gemeinsamen Haushalt leben, wird dabei mit erfasst, aber auch durch entsprechende Freibeträge berücksichtigt.
Die Belastungsgrenze beträgt 2 % des jährlichen (Familien)-Bruttoeinkommens. Bei chronisch erkrankten Menschen reduziert sich die Belastungsgrenze auf 1 % des jährlichen (Familien)-Bruttoeinkommens (siehe Zuzahlungsbefreiung für chronisch erkrankte Menschen).
Leistungen, für die es keine Zuzahlungsbefreiung gibt
Für Medikamente, Hilfsmittel und Behandlungen, die nicht zum Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenkassen gehören wie freiverkäufliche Medikamente, Nahrungsergänzungsmittel, Sehhilfen für Erwachsene, individuelle Gesundheitsleistungen (sogenannte IGeL-Leistungen) und ähnliches, kann keine Zuzahlungsbefreiung geltend gemacht werden.
Auch einige Leistungen der gesetzlichen Krankenkasse, für die der Versicherte eine relativ hohe Eigenbeteiligung zahlt, sind von der Befreiung ausgenommen:
- künstliche Befruchtung (§ 27a SGB V)
Die Krankenkasse übernimmt 50 % der Kosten des genehmigten Behandlungsplanes.
Die Differenz muss der Versicherte selbst tragen.
- Zahnersatz (§§ 55 ff. SGB V)
Benötigt ein Versicherter einen Zahnersatz, zahlt die gesetzliche Krankenkasse einen Festzuschuss für die Regelversorgungskosten.
Die Festzuschüsse der gesetzlichen Krankenkassen bei Zahnersatz wurden zum 01.10.2020 auf 60 % erhöht. Im Zuge dessen steigen auch die Boni, die Versicherte erhalten, die mit ihrem Bonusheft eine regelmäßige Inanspruchnahme zahnärztlicher Vorsorgeuntersuchungen nachweisen können, von 60 % beziehungsweise 65 % auf 70 % beziehungsweise 75 %. In begründeten Ausnahmen soll künftig zudem das einmalige Versäumen der Vorsorgeuntersuchung für die Bonusregelung bei Zahnersatz folgenlos bleiben.
Versicherte, die mittels Bonusheft nachweisen können,
- dass sie die letzten 5 Jahre regelmäßige zahnärztliche Vorsorgeuntersuchungen wahrgenommen haben, erhalten einen Festzuschuss in Höhe von 70 % der Regelversorgungskosten
- dass sie die letzten 10 Jahre regelmäßige zahnärztliche Vorsorgeuntersuchungen wahrgenommen haben, erhalten einen Festzuschuss in Höhe von 75 % der Regelversorgungskosten
Die Differenz zwischen den tatsächlichen Kosten und dem Festzuschuss zu den Regelversorgungskosten muss der Versicherte selbst tragen. Die Zuzahlungsverpflichtung gilt auch für Kinder. Versicherte, die durch den Eigenanteil unzumutbar belastet wären, können eine Härtefallregelung in Anspruch nehmen.
Versicherte, für die der Eigenanteil eine unzumutbare Belastung darstellen würde, werden von der Zuzahlung weitgehend befreit. Als unzumutbar belastet gelten Versicherte, wenn ihre monatlichen Bruttoeinnahmen die Grenze
- von 1.358 € (40 % der monatlichen Bezugsgröße)
- mit 1 Angehörigen 1.867,25 € (plus 15 % der monatlichen Bezugsgröße)
- mit 2 Angehörigen 2.206,75 € (plus weitere 10 % der monatlichen Bezugsgröße)
- mit 3 Angehörigen 2.546,25 € (plus weitere 10 % der monatlichen Bezugsgröße) nicht übersteigen
- kieferorthopädische Behandlung (§§ 28, 29 SGB V)
Die gesetzliche Krankenkasse beteiligt sich je nach Alter des Patienten anteilig an den Behandlungskosten. Nach abgeschlossener, erfolgreicher Behandlung erstattet die Krankenkasse bei Kindern und Erwachsenen den jeweiligen Eigenanteil.
Die Krankenkasse übernimmt bei erwachsenen Patienten nur dann 80 % der Kosten, wenn sie eine operative, kieferorthopädisch-kieferchirurgische Behandlung zum Ausgleich der Kieferfehlstellung benötigen. 20 % sind vom Versicherten zu tragen.
Bei Kindern werden von der Krankenkasse 80 % der Kosten übernommen, 20 % müssen die Eltern übernehmen. Falls mehr als 1 Kind in kieferorthopädischer Behandlung ist, beträgt der Eigenanteil ab jedem weiteren Kind 10 % der Kosten.
Berechnung der Belastungsgrenze
Die Berechnungsgrundlage für die Ermittlung der Belastungsgrenze ist das jährliche Familienbruttoeinkommen.
Dabei werden alle nicht zweckgebundenen Bruttoeinnahmen der Angehörigen, die mit dem Kranken in einem Haushalt leben, erfasst.
Der Gesetzgeber definiert Angehörige als:
- Ehepartner
- eingetragene gleichgeschlechtliche Lebenspartner
- Kinder bis zum Kalenderjahr, in dem sie ihr 18. Lebensjahr vollenden
- Kinder, die älter als 18 Jahre, aber familienversichert sind
- Angehörige im Sinne des § 8 Abs.4 des Zweiten Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte
Laufende und einmalige Bruttoeinnahmen des Versicherten und seiner im gemeinsamen Haushalt lebenden Familienangehörigen, die zur Bestreitung des Lebensunterhaltes bestimmt sind, werden ermittelt, zum Beispiel:
- Arbeitsentgelt
- Abfindungen
- Krankengeld
- Arbeitslosengeld
- Kurzarbeitergeld
- Einkommen aus selbständiger Tätigkeit
- Altersrente, Witwen- bzw. Witwerrente und andere Renten wegen Todes
- Betriebsrenten
- Basiselterngeld über 300 €, ElterngeldPlus über 150 €
- Unterhaltszahlungen
- Kapital- und Mieteinkünfte
Zweckgebundene Einnahmen werden nicht berücksichtigt, zum Beispiel:
- Kindergeld
- Ausbildungsförderung nach dem BAföG
- Pflegegeld
- Blindenhilfe
- Wohngeld
- Basiselterngeld bis 300 €, ElterngeldPlus bis 150 €
- Taschengeld Heimbewohner (Sozialamt)
Bei Personen die Bürgergeld, Hilfe zum Lebensunterhalt (Sozialhilfe) oder Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung beziehen, gilt der Regelsatz der Regelbedarfsstufe 1 als Berechnungsgrundlage für die Ermittlung der Belastungsgrenze für die gesamte Bedarfsgemeinschaft.
Der maximale jährliche Zuzahlungsbetrag beträgt 120,48 € (2 % des jährl. Regelsatzes der Regelbedarfsstufe 1) bzw. bei chronisch kranken Personen 60,24 € (1 % des Regelsatzes der Regelbedarfsstufe 1).
Berücksichtigung von Freibeträgen
Vom ermittelten Familienbruttoeinkommen werden Freibeträge für die im gemeinsamen Haushalt lebenden Angehörigen abgezogen.
- für den ersten im gemeinsamen Haushalt lebenden Angehörigen (insb. Ehepartner, eingetragener, gleichgeschlechtlicher Lebenspartner) wird ein Freibetrag von 6.111 € abgezogen (15 % der jährlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV)
- für jeden weiteren im gemeinsamen Haushalt lebenden Angehörigen des Versicherten und des gleichgeschlechtlichen eingetragenen Lebenspartners wird ein Freibetrag in Höhe von 4.074 € abgezogen (10 % der jährlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV)
- für jedes Kind wird ein Freibetrag in Höhe von 8.952 € abgezogen (§ 32 Abs. 6 EStG), sowohl für Ehegatten als auch für alleinerziehende Versicherte. Bei getrennt lebenden oder geschiedenen Paaren wird der Freibetrag bei dem Elternteil berücksichtigt, bei dem das Kind gemeldet ist
Ein chronischer Schmerzpatient lebt mit seiner Ehefrau und einem 8-jährigen Sohn in häuslicher Gemeinschaft und möchte wissen, wie viel Zuzahlungen er leisten muss, bis er befreit wird. Auf Basis seiner Angaben ermittelt die Krankenkasse seine Belastungsgrenze.
- jährliche Bruttoeinnahmen aller Haushaltsangehörigen: 35.500 €
- minus Freibetrag für Ehegatte (= erster Haushaltsangehöriger): 6.111 €
- minus Freibetrag für 1 Kind: 8.952 €
- ergibt die Zwischensumme: 20.437 €
- davon 1 % = Belastungsgrenze: 204,37 €
Wenn im konkreten Beispiel die Zuzahlungen die Belastungsgrenze von 204,37 € im Jahr übersteigen, wird die Familie von darüber hinausgehenden Zuzahlungen befreit.
Wie wird die Zuzahlungsbefreiung beantragt?
Es empfiehlt sich folgendes Vorgehen:
- Belastungsgrenze errechnen (gegebenenfalls mit Hilfe der Krankenkasse)
- Sammlung aller Zuzahlungsbelege für alle Familienmitglieder (Quittungsheft)
- Zuzahlungen addieren
- Zuzahlungsbefreiung bei der Krankenkasse beantragen
Ausnahme: Bei privatversicherten oder beihilfeberechtigten Familienmitgliedern wird das Jahresbruttoeinkommen mit erfasst, eine Berücksichtigung der Zuzahlungen kann nicht erfolgen.
Frage bei Deiner Krankenkasse oder in Deiner Apotheke nach einem Quittungsheft.
Sofern Du immer in derselben Apotheke Deine Medikamente und Hilfsmittel holst, kann der Apotheker eine Kundendatei anlegen, sodass alle Zuzahlungen zu Deiner Person gespeichert werden und Dir ein Computerausdruck mit Nachweis der Zuzahlungen ausgehändigt werden kann.
Viele Krankenkassen haben auf ihrer Internetseite einen Zuzahlungsrechner. Mit dessen Hilfe kannst Du rasch Deine persönliche Belastungsgrenze ermitteln.
Bei einigen Krankenkassen kannst Du Dich registrieren. Du kannst in diesem Fall stets zeitnah Deine Zuzahlungen online erfassen. Bei Erreichen Deiner Belastungsgrenze erhältst Du eine Benachrichtigung Deiner Krankenkasse.
Du musst die Befreiung bei Deiner Krankenkasse beantragen. Von dieser erhältst Du ein Formular, welches ausgefüllt und zusammen mit den Belegen zur Einkommenssituation (z. B. Gehaltsnachweise, Rentenbescheide) und den Zuzahlungsbelegen an die Krankenkasse zurückgesendet werden muss.
Bei Erreichen der Belastungsgrenze wird ein Befreiungsbescheid ausgestellt. Du und Deine im Haushalt lebenden Angehörigen erhalten einen Befreiungsausweis. Diesen solltest Du stets zusammen mit der Krankenversichertenkarte aufbewahren.
Besonderheit: Wenn für den Versicherten und ein Familienmitglied unterschiedliche Krankenkassen zuständig sind, errechnet eine Krankenkasse die Belastungsgrenze und stellt einen Befreiungsbescheid aus. Der Bescheid wird der anderen Kasse vorgelegt, sodass auch von dieser ein Befreiungsausweis ausgestellt werden kann.
Wann wird der Antrag gestellt?
Der Antrag auf Befreiung von den Zuzahlungen wird in der Regel im Laufe eines Kalenderjahres bei Erreichen der Belastungsgrenze oder zum Ende des jeweiligen Kalenderjahres gestellt. Zuviel geleistete Zuzahlungen werden von der Krankenkasse zurück erstattet.
Unter Umständen kann auch zu Jahresbeginn der Betrag bis zur Belastungsgrenze im Voraus bezahlt werden. Dies hat den Vorteil, dass keine Belege gesammelt werden müssen. In der Regel ist diese Variante nur für Einzelpersonen, die in der Vergangenheit Belege gesammelt haben und keine Veränderungen ihrer Einkommenssituation erwarten, geeignet.